Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
eindeutig nicht. »Wir werden dir Kleider beschaffen müssen, die dir auch passen, was, Hem? Und ein paar Schuhe«, meinte Saliman, als er ihn begutachtete. Überrascht schaute Hem auf; er schien rundum zufrieden damit, warm gekleidet zu sein, und Maerad konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er noch nie Schuhe besessen hatte. »Und ich werde dir zeigen, was es heißt zu baden.«
»Nicht nötig«, widersprach Hem und schüttelte entschieden den Kopf. »Ich fühl mich wohl, so wie ich bin.«
»Wahrscheinlich hast du unter dem Dreck eine ganz andere Farbe«, meinte Maerad nachdenklich.
»Ja, weiß wie Schnee«, stimmte Saliman ihr halbernst zu. »Und sein Haar ist vermutlich blond.«
Hem straffte die Schultern und stapfte weiter, ohne etwas zu erwidern. Maerad schaute lachend zu Saliman. »Wenn Ihr ihn wirklich sauber bekommen wollt, steht Euch eine schwierige Aufgabe bevor«, meinte sie.
»Das schreckt mich nicht«, gab Saliman zurück und warf heldenhaft den Kopf zurück. »Nicht einmal Hem von Pellinor vermag Saliman von Turbansk einzuschüchtern!« Cadvan war nicht beim Abendessen; Nelac teilte ihnen mit, dass er sich zu Bett begeben hatte. Maerad war sehr hungrig, wurde aber fortwährend von Anflügen der Erschöpfung heimgesucht. Wenn sie sich nicht bald hinlegte, würde sie einfach am Tisch das Bewusstsein verlieren. Hem schmauste heißhungrig, und er konnte seine Ungläubigkeit nicht verbergen, als ihm ein Nachschlag angetragen wurde. Als er zögerlich nach mehr fragte und keine Abfuhr erhielt, nahm seine Ungläubigkeit geradezu komische Züge an. Maerad fand, dass er eine regelrecht unglaubliche Menge verschlang - höchstwahrscheinlich würde ihm ziemlich übel werden. Er aß mindestens vier Mal so viel wie Maerad, und das in der Zeit, die sie für einen einzigen Teller brauchte.
Während des Essens erkundigten sich weder Saliman noch Nelac nach ihren Abenteuern. Stattdessen gab Saliman Geschichten über sein Heimatland zum Besten. Seine starken und doch zierlichen Musikerhände woben dabei Bilder in die Luft, und seine Zähne blitzten weiß, wenn er lachte. Hem lauschte wie gebannt, kaute geräuschvoll und hatte den Kopf voller Bilder von Türmen mit goldenen Dächern, Obstmärkten, Seidenständen und seltsamen, fremdartigen Tieren. Er konnte die Augen nicht von Saliman lösen, und als der Barde seiner starrenden Blicke gewahr wurde und lächelte, lief Hem hochrot an und sah sich flink im Zimmer um.
Nelacs Speisezimmer enthielt zahlreiche eigenartige Dinge: eine mit merkwürdigen Runen verzierte Kristallkugel, sonderbare Instrumente, die dem Messen oder Beobachten dienen mochten und ein Regal mit großen, ledergebundenen Büchern, deren Titel vergoldet auf den Rücken prangten. Auf einem Tisch an der Wand stapelten sich Pergamentrollen und Papiermanuskripte. Auf einem Regal befand sich eine Sammlung verschiedenartiger Steine: Quarz- und Amethystkristalle, polierter Achat, Jade und Bernstein. Auf einem anderen reihten sich riesige, exotische Muscheln mit Stacheln und Hörnern aneinander, gesprenkelt mit braunen und rosa Tupfen, außerdem ein makelloses Nautilusgehäuse mit verschlungenen Wirbeln so dünn wie Papier. Eine vergoldete Lampe, die von der Decke hing, spendete gedämpftes Licht. Maerad dachte an Dernhils Arbeitszimmer zurück: Dieser Raum hier wirkte noch unordentlicher als der seine, doch auf dieselbe Weise, als verbärge sich unter dem Chaos eine Ordnung.
»Verzeiht das Durcheinander in meinen persönlichen Gemächern«, sagte Nelac, der Hems Blicke bemerkte. »Ich scheine nie genug Platz für meine Arbeit zu haben, weshalb sie unweigerlich in jeden Raum überquillt.«
»Für mich sieht es nicht unordentlich aus«, log Maerad und errötete unwillkürlich. Sie konnte in Nelacs Gegenwart eine gewisse Zurückhaltung einfach nicht abschütteln, obwohl er ihr keineswegs Furcht einflößte. Er ließ sich mit niemandem vergleichen, dem sie je zuvor begegnet war, und sie konnte spüren, wie weit jenseits ihrer Erfahrung er stand; selbst Ardina hatte sie nicht derart aus der Fassung gebracht. Vielleicht liegt es daran, dass Ardina ein bisschen wie ich ist, dachte sie. Aber trotz allem wollte sie unbedingt erfahren, was mit Cadvan geschehen war.
»Geht es Cadvan besser?«, erkundigte sie sich, nachdem sie fertig gegessen hatte. Nelacs Augen waren dunkel und irgendwie alterslos. Als er den Blick auf sie richtete, wirkte er beinahe so tief wie jener Ardinas. »Cadvan wird sehr bald wieder
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