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Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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ihr gesamtes Leben in einem einzigen Lidschlag ab; aber einiges stach daraus hervor.
    Erinnerungen aus Gilmans Feste; betäubende Erschöpfung, Langeweile und Schmerzen; die Demütigungen der Orgien und Prügelstrafen; das gemeinsame Spielen mit Mirlad, als sie noch ein Kind war, seine trübsinnigen Vorträge … ihre Mutter und eine alte Frau mit blauen Augen, die Maerad festhielten; ein Garten voll süß duftender Blumen … Gesang, Musik und Gelächter in einer großen Halle, gefüllt mit Männern, Frauen und Kindern in Prunkgewändern, erhellt von mächtigen Kerzenhaltern… ihre Mutter, die sie entsetzt, kränklich und voll Gram umklammerte, während sie auf einem Wagen durchgerüttelt wurde… ein kleiner Tisch mit hohen Obstbergen … ihre Mutter, die sie als kleines Kind festhielt, ihr Bruder Cai, der glucksend nach einer roten Blume griff… die Verzweiflung ihrer Mutter, das Sterben ihrer Mutter … ihre Mutter, gelblich und ausgemergelt auf einer Pritsche, die Lippen aufgesprungen und voller Geschwüre, ihre Stimme ein Flüstern, als sie Maerad das Haar zurückstrich und sprach: »Maerad, sei stark. Sei stark…« … dann das Todesröcheln … Krähen, die an einem dunklen Himmel kreisten, brüllende Männer und entsetzliche Schreie; ein Mann, von dem sie wusste, dass er ihr Vater war - gefällt vom Hieb einer Keule landet er zwischen unzähligen Leichnamen; ein hoher Turm, lodernd in der Nacht, ein Aufschrei, als das Dach einstürzte und gierige Flammen aufzüngelten… Schier unerträgliche Qualen ergriffen Besitz von Maerad, Qualen, die sogar den Kummer überstiegen, den sie beim Tod ihrer Mutter verspürt hatte; es war, als bündelten sich alle Schmerzen, die sie je erfahren hatte, in einem heiß lodernden Knoten mitten in ihrem Geist. Der Knoten wuchs, schwoll an, bis er als grelles Gleißen ihr gesamtes Wesen umfasste und sie es nicht mehr ertragen konnte. Ohne bewusstes Zutun schrie sie „nein“ und brach in einen Sturm von Tränen aus.
    Eine Zeit lang nahm sie nichts anderes mehr wahr. Nach einer Weile stellte sie fest, dass sie auf dem Boden kauerte, an Cadvans Schulter weinte und er ihr übers Haar streichelte. Schließlich verebbte ihr Schluchzen. Sie setzte sich auf, stieß Cadvan von sich und rieb sich mit dem Handrücken über die Augen.
    Cadvan wirkte blass und gequält. »Maerad, es tut mir aufrichtig leid«, sagte er. »Sehr, sehr leid.«
    Maerad war nicht sicher, ob er den Seelenblick bedauerte oder das, was der Seelenblick offenbart hatte. Sie fühlte sich schwach. Hinter ihrer Stirn pochten beginnende Kopfschmerzen. Sie verbarg das Gesicht in den Händen.
    »Es hat wehgetan«, stieß sie mit erstickter Stimme hervor.
    »Ich hätte dich nicht darum bitten sollen«, räumte Cadvan nach kurzem Schweigen ein. »Trotz all deiner Macht bist du kaum mehr als ein Kind, und selbst für die ganz Großen ist ein Seelenblick ein heikles Unterfangen. Aber ich hatte solche Zweifel darüber, ob du vielleicht ein Geist der Finsternis bist, der geschickt worden war, um mich hinters Licht zu führen.«
    »Ich ? Um Euch hinters Licht zu führen?« Ungläubig schaute Maerad auf. Cadvan grinste sie schief an. »Du kannst dich damit trösten, dass ich für meine Zweifel bezahlt habe. Der Schrei, den du ausgesandt hast, schleuderte mich bis zu den Bäumen dort hinüber. Ich hatte Glück, dass ich mir nicht den Hals gebrochen habe!« »Das habe ich getan?« Mit vor Erstaunen offenem Mund starrte sie ihn an. »Und ob du das hast! Aber es war nicht deine Schuld.« Er verzog das Gesicht und rieb sich den Kopf. Dabei sah Maerad, dass an seiner Stirn ein Mal prangte. »Du musst erst lernen, wie du deine Macht beherrschen kannst.«
    »Ihr werdet da eine ziemliche Beule bekommen«, stellte sie fest.
    »Ja, werde ich wohl.«
    »Also ist alles gut?« »Was?«
    »Ich meine, ist alles in Ordnung?«
    »Oh ja.« Cadvan wirkte zerstreut, als er ihr antwortete. »In dir ist keine Finsternis, falls du das meinst. So viel weiß ich, auch wenn ich den Seelenblick nicht beenden konnte. Sonst wäre ich auf andere Mauern und andere Arten von Widerstand gestoßen.« Er musterte sie mit einer seltsamen Miene, beinahe scheu, wie sie fand. »Ein Seelenblick ist eine eigenartige Angelegenheit. Ich habe so etwas noch nicht oft gemacht. Aber ich kann dir sagen, Maerad, dass ich noch nie einen Seelenblick in jemanden geworfen habe, der so viele Qualen beherbergt wie du. Jedenfalls werde ich es nie wieder überstürzt tun; außerdem

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