Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
auf, und nach den verhallenden Akkorden kehrte tiefe Stille ein. »Und so begegneten sich Andomian und Beruldh. Sie begaben sich auf den Weg in die Verliese des Namenlosen, wo sie starben, ohne Hoffnung auf Hilfe, fern vom Licht«, sagte Cadvan. »Aber keine der Legenden berichtet, dass sie es bereut oder bedauert hätten.« Unvermittelt schlug er einen harschen, ungeduldigen Akkord an. »Du hast recht, Maerad. Dies ist kein Lied für einen solchen Ort - ohne Dach über dem Kopf in der Dunkelheit, während in der Ferne Werwesen heulen. Du spielst gut: Man merkt, dass du Unterricht hattest, wenngleich mit einigen merkwürdigen Spielarten … Wie ich sehe, weißt du mehr, als du zeigen willst. Das hätte ich erwarten sollen. Darüber unterhalten wir uns später.«
Er legte seine Leier beiseite und sprach eine Weile kein Wort mehr. Seine Miene wirkte düster und bekümmert. Maerad saß unglücklich da und fragte sich, ob sie unverfroren oder barsch gewesen war. Dieser Mann überstieg ihr Verständnis: Zumeist schien er sie geduldig und mit leichtem Spott zu betrachten, dann schlug seine Stimmung ohne Vorwarnung um, und er wurde unnahbar und zog sich zurück. Er gebarte sich so gänzlich anders als die Männer in Gilmans Feste, die nur ihren Trieben folgten, oder als Mirlad, der sich stets schroff gezeigt, darunter aber ein ausgesprochen freundliches Wesen verborgen hatte. Ein Gefühl hatte ihr verraten, dass Mirlad zutiefst unglücklich gewesen war, weshalb sie über seine Freudlosigkeit und seine Launenhaftigkeit hinweggesehen hatte. Über die Geschichte Annars, die Überlieferungen oder die Hohe Sprache hatte er nie mit ihr geredet, obwohl er ihr viele Lieder beibrachte, von denen er abschätzig meinte, sie vertrieben wenigstens die Zeit. Zurückblickend nahm sie an, dass er für ihre Flucht ebenso wenig Hoffnung sah wie sie selbst und sie davor bewahren wollte, von einem anderen Leben zu träumen, wie er es vermutlich selbst getan hatte. Ein Leben, in dem Barden und Gesang in Ehren gehalten wurden und nicht bloß als Unterhaltung bei derben Festlichkeiten dienten.
Und dort war er gestorben. Sie spürte, wie neues Mitgefühl für Mirlads vergeudetes Leben und seinen einsamen Tod in ihr aufkeimte.
Cadvan hingegen war völlig anders und wesentlich schwieriger zu ergründen. Er wirkte erheblich launenhafter; seine Gesichtszüge schienen ständig in Bewegung zu sein, und seine Gedanken zogen darüber hinweg wie Sonnenlicht, das über sich kräuselndes Wasser wandert. Zugleich allerdings schien er ihr verschlossener zu sein und voller Geheimnisse zu stecken, die weit über jene hinausgingen, die er andeutete. Vielleicht, dachte sie, sind alle wahren Barden so wie er, gegenwärtig und doch zugleich weit entfernt. Wenigstens hatte er sie aus der Feste befreit, wenngleich sie keine Vorstellung davon hatte, was sie nun tun sollte, außer Cadvan zu folgen. Er sagte selbst, dass dies gefährliche Gefilde waren, und sie selbst besaß keinerlei Kenntnisse von Gefahren, abgesehen von Prügel und der Mühsal, sich der Schergen des Lehnsherrn zu erwehren. Sie wäre verwundbar wie ein neugeborenes Reh. Maerad lehnte sich an eine der Birken und blickte nach oben durch das Geäst, das sich verschlungen und schwarz gegen das tiefe Blau des Abendhimmels abzeichnete. Ein paar frühe Sterne schimmerten hindurch, weiße Juwelen, gefangen in einem verworrenen Netz. Ich kann dieses Muster nicht verstehen, dachte sie müde. Aber zumindest die Sterne bleiben dieselben.
Irgendwann schlug Cadvan vor, sie sollte sich ausruhen, und so wickelte sie sich in die Decke. Trotz der Unordnung in ihren Gedanken dauerte es nicht lange, bis sie einschlief.
Maerad erwachte ruckartig. Einen Augenblick lang vergaß sie, wo sie sich befand und fragte sich, weshalb keine Glocke geläutet hatte; dann schien ihr ein durch das Geäst einfallender Lichtstrahl ins Auge. Sie blinzelte, und die Ereignisse der beiden vergangenen Tage strömten jäh in ihr Gedächtnis zurück. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen. Cadvan war bereits wach und hatte ein Frühstück vorbereitet. Er war am Bach gewesen; das dunkle Haar hing ihm nass in die Stirn.
»Guten Morgen«, begrüßte er sie und verneigte sich. »Die Herrin des Hauses muss uns die Kost verzeihen, die bedauerlicherweise dieselbe ist wie letzte Nacht. Aber trotz ihrer Eintönigkeit gesund. Wünscht meine Herrin, sich vor oder nach dem Frühstück zu waschen?«
Maerad lachte. »Später, denke ich. Das ist ein
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