Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
Ast mit aller Kraft gegen den Körper des Angreifers. Die Flammen züngelten auf, leckten ihm über den Hals und setzten ihm das Haar in Brand. Er stieß einen schauderhaften Schrei aus, sank sich windend zu Boden und versuchte, die Flammen zu löschen, aber sie hafteten an ihm wie tödlicher Leim und breiteten sich aus, bis er gleich einer kreischenden Fackel lichterloh in Flammen stand.
Maerad beobachtete ihn entsetzt, vergaß einen Lidschlag lang die Gefahr, die sie umgab, doch dann landete eine weitere Kreatur, die sich auf die Hinterbeine aufrichtete, und ihr Grauen schlug jäh in Raserei um. Diesmal traf sie das Wesen mit dem Ast, bevor sie sich zu verwandeln beginnen konnte. Betäubt stürzte es auf den mittlerweile vor Blut klebrigen und rauchenden Boden. Maerad trat vor und wollte gerade neuerlich darauf einschlagen, als Cadvan ihr zuvorkam und dem Geschöpf den Kopf abhackte. Und plötzlich kehrte Stille ein.
Keuchend standen sie nebeneinander. Maerad entsandte ihren Geist, um zu lauschen, ob sich weitere Schwingen näherten, aber sie hörte nur die Nacht. Im Wachthaus türmten sich tote Werwesen. Scharf sog sie die Luft ein, als ihr unvermittelt übel wurde.
Cadvan legte mehr Holz auf das Feuer, dann fing er an, die Leichname zur Tür hinauszuschleifen. Maerad blieb stehen, wankend vor Übelkeit. Der Gestank des Todes war überwältigend, und sie begann zu zittern. Ihr wurde bewusst, dass der Ast, den sie nach wie vor hielt, mittlerweile beinahe bis zu ihrer Hand abgebrannt war. Sie warf ihn zurück ins Feuer, rang den Drang nieder, sich übergeben zu müssen, und half Cadvan, das Wachthaus von den Kreaturen zu säubern, indem sie ihre Überreste zur Tür hinaus und den Hügel hinabschleuderte. Allerdings konnte sie sich nicht dazu überwinden, jenes verbrannte Wesen zu berühren, das immer noch halb wie ein Mensch aussah. Schließlich war der Innenraum leer, wenngleich es nach versengtem Fleisch und Haar sowie nach Blut stank. Weder Cadvan noch Maerad war danach zumute, sich hinzusetzen.
»Was waren das für Kreaturen?«, fragte sie nach einer Weile.
»Wurmdreck«, antwortete Cadvan. »Werwesen können jede beliebige Gestalt annehmen. Aber es sind immer verdorbene Gestalten, Abklatsche.« Mit einem verkniffenen Lächeln sah er sie an. »Du hast dich wacker geschlagen, obwohl du einmal um ein Haar mich getroffen hättest. Eine verwegene Kämpferin, wenngleich noch etwas ungeschult.«
Maerad versuchte, das Lächeln zu erwidern. »Glaubt Ihr, dass da draußen noch mehr von ihnen sind?«
»Keine Ahnung. Ich glaube nicht. Ich habe neunzehn gezählt und etwa zwanzig gehört. Vielleicht hat sich eines nicht in die Nähe des Feuers gewagt. Jedenfalls ist es ja inzwischen nicht mehr lange bis zum Sonnenaufgang.«
Sie gingen nach draußen und hockten sich neben den Eingang, nach wie vor wachsam, aber zu erschöpft, um sich zu unterhalten.
Cadvan blieb auf der Hut, und Maerad unterstützte ihn trotz ihrer Müdigkeit dabei. In jener Nacht hörten sie nichts mehr, und schließlich begann der östliche Horizont, heller zu werden. Schier unerträglich langsam kroch die Sonne über den Rand der Erde und sandte flache Strahlen über den Wald vor ihnen. Maerad war noch nie so froh gewesen, einen neuen Tag zu erleben. Sie drehte sich Cadvan zu und musste beinahe lachen. Sie boten beide keinen besonders einnehmenden Anblick: von Kopf bis Fuß mit dem fauligen Blut der Werwesen verschmiert und bespritzt, die Gesichter schwarz vor Asche.
»Tja«, meinte Cadvan gedehnt. »Wir haben es geschafft.«
Fünftes Kapitel
Durchs Gebirge
Sie verweilten nicht, um sich zu waschen oder auszuruhen, nicht einmal, um zu essen. Maerad wandte die Augen von den Kadavern am Fuß des Hügels ab.
»Eigentlich sollten wir sie verbrennen«, meinte Cadvan. »Aber dafür haben wir keine Zeit. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, in Bewegung zu bleiben.« Maerad hatte sich noch nie so ausgelaugt gefühlt. Einzig der Wunsch, so weit wie möglich von diesem tödlichen Ort wegzukommen, war stärker als ihre Erschöpfung. Stetig marschierten sie vor sich hin. Maerad versuchte, ihrem pochenden Kopf keine Beachtung zu schenken. Er schmerzte durch die Wunde, die ihr das Werwesen beigebracht hatte. Sie bündelte alle Gedanken darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Von ihrem Ziel hatte sie keine Vorstellung.
Allmählich begann sie zu glauben, dass Cadvan aus Draht bestünde; er ließ kaum Anzeichen von Müdigkeit erkennen, während das
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