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Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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Tunnel.
    Zu ihrer unaussprechlichen Erleichterung ergriff Cadvan ihre Hand, drückte sie ermutigend und ließ sie nicht los. Langsam, aber stetig gingen sie eine scheinbare Ewigkeit weiter, ließen dabei die Fingerspitzen die Wand entlang streichen und hörten ständig die leisen Tatzen des Berglöwen vor sich.
    Plötzlich sog Maerad scharf die Luft ein. Die Seitenwand verschwand, und sie wäre um ein Haar in die Lücke gekippt. Ein frostiger, übel riechender Luftzug hauchte ihr ins Gesicht und zerstreute vorübergehend die Stickigkeit des Stollens. Drei Schritte weiter setzte die Wand wieder ein; vom Hauptgang zweigte eindeutig ein Nebentunnel ab. Bald wurden solche Nebenstollen häufiger, und Maerad erkannte, dass sich ein regelrechtes Netzwerk durch den ganzen Berg ziehen musste. Manchmal spürte sie einen Luftzug von oben, manchmal von unten. Sie vermutete, dass dies von Schächten herrührte, die durch den Fels nach oben führten. Fünfundvierzig Verzweigungen zählte Maerad selbst, bevor sie anhielten, um zu essen, und anhand der Veränderungen der Luft vermutete sie, dass auf Cadvans Seite eine ähnliche Anzahl vorhanden war. Der Haupttunnel führte immer noch kerzengerade durch den Berg.
    Maerad fragte sich, wer dieses System von Gängen geschaffen haben mochte, wenngleich sie kein Verlangen verspürte, einem der Nebentunnel zu folgen - die Vorstellung, sich im Berg zu verirren und durch endlose Dunkelheit zu stolpern, ließ sie schaudern. Vielleicht war dies eine Art Stadt gewesen, obschon sie noch nie von einer in einem Berg errichteten Stadt gehört hatte. Jedenfalls fühlte die Umgebung sich alt an, unermesslich alt. Gelegentlich, wenn ihre Finger über etwas strichen, das sich wie ein bröckliges Relief oder ein verschlungener Ziersaum anfühlte, wünschte sie, Cadvan würde ihnen ein wenig Licht gestatten: Sie hätte nur zu gern gesehen, durch was sie eigentlich marschierten. Gewiss war dies einst ein wunderschöner Ort gewesen. Vielleicht war er es sogar immer noch, obwohl er verlassen zu sein schien.
    Trotz der Finsternis flößte ihr die Umgebung keine Furcht ein; falls es hier Geister gegeben hatte, waren sie längst verschwunden. Als sie weiter in den Berg vorstießen, beschlich sie nach und nach Ehrfurcht ob der Ausmaße des Ortes. Er war viele, viele Male größer als Gilmans Feste, vielleicht sogar so riesig wie die Städte aus einigen der Lieder, die Mirlad sie gelehrt hatte. Die Umgebung schien Traurigkeit zu atmen, ein alles durchdringendes Gefühl der Verlassenheit. Hatte eine Krankheit das einstige Volk dieses Ortes befallen und vertrieben? Oder war es einfach weggezogen, um anderswo, in wärmeren Gefilden, eine neue Stadt zu bauen? Jedenfalls hatten hier Menschen gelebt, die vielleicht glücklich gewesen waren. Nun waren sie verschwunden, und der Ort vermisste sie, vermisste ihr Gelächter, ihre Lieder, ihr Licht. Zumindest ging Maerad davon aus, dass sie in diesen dunklen Gängen Licht verwendet hatten.
    Sie schickte ihren Geist voraus. Sie hörte das Rascheln kleiner Flügel, tapsende Schritte wie von winzigen Vögeln, Piepsen und hohes Pfeifen, das Tropfen von Wasser auf Stein und das leise Plätschern sich träge in kalten Tümpeln aalender blinder Fische, die Licht nicht einmal als ein Gerücht kannten; sonst vernahm sie nichts.
    Sie hielten für eine weitere Mahlzeit an, dann für eine dritte und eine vierte. Ungewisse Stunden lang schliefen sie auf dem kahlen Steinboden: Verstrich derweil draußen eine Minute oder ein ganzer Tag? Maerad wusste es nicht. In der unveränderlichen Finsternis war es unmöglich zu erahnen, welche Tageszeit draußen, in der Welt der Farben und des Lichts, herrschen mochte. Wenn sie hungrig oder so müde waren, dass sie nicht mehr weitergehen konnten, hielten sie inne. Dabei blieben sie einfach, wo sie sich gerade befanden. Es fühlte sich seltsam an, etwas zu essen, ohne es sehen zu können; irgendwie schmeckte es nach gar nichts, als äßen sie Asche. Weil der Widerhall so gespenstisch wirkte, sprachen sie so wenig wie möglich. Der Berglöwe fraß nichts, wenngleich er manchmal von den Rinnsalen trank, die sich aus höheren Gefilden einen Weg durch den Berg hinab bahnten und dabei ihren Weg kreuzten.
    An einer Stelle blieb ihr Führer plötzlich stehen und knurrte. Sie befanden sich so dicht hinter ihm, dass sie mit ihm zusammenstießen. »Er sagt, da sei eine Grube«, flüsterte Cadvan, und das Getuschel setzte sich die Wände entlang wie düsteres

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