Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
bereits in dir als Teil deiner Gabe, deines Erbes. Eines davon ist, die Sprache der Tiere zu verstehen.«
»Ich?«
»Ja, Mädchen, sind deine Ohren etwa aus Stoff?«
Maerad spürte, wie sich eine neue Art von Furcht in ihr regte, eine Furcht vor ihr selbst, und sie erfüllte sie mit Zorn. Sie sprach leise, weil sie das Tier nicht wecken wollte, dennoch schwang eine unterschwellige Wut in ihrem Tonfall mit. »Das ist Hexersprache«, erwiderte sie. »Davon habt Ihr mir nie etwas gesagt. Das ist nicht wahr!«
Cadvan zeigte sich von ihrem Zorn ungerührt. »Maerad, das Schlimmste, was du tun kannst, ist, deine eigenen Fähigkeiten zu verleugnen«, meinte er nur. »Dass du bisher ahnungslos warst, ist natürlich nicht deine Schuld. Aber jetzt hast du diese Ausrede nicht mehr.«
Maerad fühlte sich zu erschrocken, um mit ihm zu streiten, und wandte sich stattdessen schmollend der Höhlenwand zu. Es war lächerlich, dass Cadvan so über sie redete. Sie war nicht mehr oder weniger, als sie nun mal war: ein Mädchen, bis vor kurzem eine Sklavin. Gewiss, sie konnte Leier spielen, aber … Cadvan irrte sich völligSie holte tief Luft und spähte zu dem Berglöwen hinüber. Er lag eingerollt mit der Nase dicht am Schwanz da, ganz wie eine Katze vor dem Ofen, und schenkte ihnen beiden keinerlei Beachtung. Das Gewitter hatte sich verzogen, doch es regnete draußen vor der Höhle noch heftig - ein freundliches Geräusch, wie sie fand. Die Nacht brach an, und sie stellte fest, dass sie hungrig war.
»Jetzt gehen wir ohnehin nirgends hin«, sagte sie.
»Richtig«, bestätigte Cadvan. »Also kann ich mir in aller Ruhe diesen Werkratzer ansehen.«
Mit fachkundigen, behutsamen Fingern untersuchte er die Wunde an ihrer Stirn, und Maerad nahm sich zusammen, um nicht zu zucken. »Ein blauer Fleck und etwas aufgerissene Haut, aber kein Gift«, verkündete er. »Ich fürchte, du wirst ein paar Tage lang Kopfschmerzen haben. Dagegen kann ich hier nichts machen. Aber es wird keine nennenswerte Narbe zurückbleiben. Du hast Glück gehabt.« Damit drückte er ihr kräftig die Hand auf die Stirn, woraufhin ein Teil der Schmerzen verflog. Anschließend rieb er die Wunde mit einer süßlich riechenden Salbe aus einem winzigen Glas ein, das er aus seinem Bündel hervorkramte.
»Wir sollten essen und uns dann ausruhen, solange wir können«, schlug Cadvan vor. »Wir brauchen nicht Wache zu halten; der Berglöwe wird uns in seiner Höhle beschützen, sogar im Schlaf.«
Maerad nickte. Tatsächlich schmerzten ihre Knochen immer noch vor Erschöpfung, und darunter schwelten die Nachwehen des Kampfes der vergangenen Nacht, ein Beben, das tief in ihrem Körper rumorte. Eine weitere Rast war ihr durchaus willkommen.
Am nächsten Morgen war Maerad so steif vor Kälte, dass sie sich kaum bewegen konnte; sie fühlte sich, als wäre ihr gesamter Leib voller blauer Flecken. Der Tag erwies sich als bedeckt und trüb. Nur ein fahles Licht drang in die Höhle, die nunmehr ungastlich und unbehaglich wirkte. Stöhnend rollte sie sich herum. Cadvan schlief noch. Vorsichtig setzte sie sich auf und hielt nach dem Berglöwen Ausschau. Er war nirgends zu sehen.
So viel zu unserem Führer, dachte sie. Was nun?
Sie kroch zum Höhleneingang und spähte hinaus. Über die Knie des Berges konnte sie hinunter auf die Ebenen sehen, doch der Wald lag in Nebel und Regen verborgen. Die ganze Welt schien ihrer Farben beraubt. Unglücklich saß sie da, beobachtete die Wolken und versuchte, ein wenig Leben in ihre Arme und Beine zu reiben, als Cadvan sich zu ihr gesellte.
»Frühstück?«, fragte er beschwingt.
»Essen ist das Letzte, wonach mir grade zumute ist«, gab sie zurück. »Unser Führer scheint verschwunden zu sein.«
»Er kommt zurück«, sagte Cadvan. »Und du musst etwas essen. Wir haben einen langen Marsch vor uns, und mit einem leeren Magen wirst du ihn nicht bewältigen. Wenn alles gut verläuft, laben wir uns bald an Rostbraten und gedünsteten Pilzen.« »Und Wurzeln?«
»Karotten, Rüben, Bete und alles sonst, was du gerne magst. Gebacken, gebraten, gedünstet, geschmort, gekocht, gezuckert und geräuchert!« Cadvan war bereits wieder in der Höhle, um Obst und Zwieback aus seinem Bündel hervorzuholen. »Und ein Bad! Beim Licht, es wird sich gut anfühlen, wieder sauber zu sein! Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich zuletzt gebadet habe.«
Sie beendeten gerade das Frühstück, als der Berglöwe zurückkehrte. Cadvan begrüßte ihn
Weitere Kostenlose Bücher