Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
versichert, dass die Barden tun, was in ihrer Macht steht. Aber jetzt müssen wir wirklich aufbrechen. Ein Segen auf Euer Haus!« Grall ließ das Zaumzeug los, und sie brachen auf.
Stormont erwies sich als Weiler, der aus vielleicht einem Dutzend Häusern bestand, allesamt mit niedrigen Fenstern, geweißelt und mit dunklem Flussschilf gedeckt. Maerad sah sich staunend um; sie hatte noch nie ein solches Dorf gesehen, und tatsächlich empfand sie es als genauso exotisch wie Inneil, wenngleich Cadvan hindurchritt, ohne es eines Blickes zu würdigen. Es war noch früh, weshalb sich niemand auf der Straße befand, aber sie sah hinter den verglasten Fenstern Licht aufschimmern. Hähne krähten, Hunde bellten, und in der Ferne hörte sie einen Bauern seine Kühe rufen und mit Eimern klappern. Jenseits des Dorfes lagen die Hügel von Nebel verhüllt da, aber als die Sonne höher stieg, löste der Dunst sich auf, und es drangen sogar ein paar helle Strahlen vom Himmel, auch wenn sie keine Wärme spendeten. Die schweren grauen Wolken, die von Westen her aufzogen, kündigten weiteren Regen an.
Nachdem sie das Dorf hinter sich gelassen hatten, wandte Cadvan sich an Maerad und sagte: »Es kann nicht schaden, wenn ich uns ein wenig verkleide. Ich bin hier in der Gegend zu bekannt.« Damit vollführte er eine schlichte Geste mit den Händen. Maerad blinzelte und sah sich um. Sie konnte keinen Unterschied feststellen. »Du besitzt die Bardensicht, deshalb wirkt der Zauber bei dir nicht«, erklärte Cadvan. »Es ist nur ein Trugbann. Aber für jeden Händler, der uns über den Weg läuft, sehe ich aus wie ein fetter Nordlandbauer aus Milhol, der mit seiner Gemahlin des Weges reitet. Davon gibt es in der Gegend reichlich. Sie kommen, um ihre Waren auf den Markt zu bringen oder um selbst etwas zu kaufen. Achte also darauf, mich als deinen Gemahl anzureden, wenn es notwendig ist.«
Den restlichen Vormittag setzten sie die Reise in forschem Trab fort und sprachen wenig. Unterwegs begegneten ihnen ein paar Leute, die Maerad neugierig musterte; sie besaßen helle Haare und helle Haut, und ihre Gewänder bestanden aus derselben feinen Wolle, aus der Maerads Kleider angefertigt waren. Sie nickten den Fremden mit einer Zurückhaltung zu, die nicht von Unfreundlichkeit zeugte, aber auch zu keiner Unterhaltung einlud.
Obwohl Maerad über eine Woche in Inneil verbracht hatte, war dies der erste echte Eindruck, den sie vom Tal oder vom Gau erhielt, wie die Einzugsgebiete von Schulen häufig genannt wurden. Als sie nach Inneil gekommen waren, war es Nacht gewesen, und den Rest der Zeit hatte Maerad innerhalb der Mauern verbracht, ganz so wie den Großteil ihres Lebens. Allerdings unterschieden sich die Mauern von Inneil grundlegend von jenen von Gilmans Feste: Inneil hatte sie beschützt und ihr Freiheit geboten, während die Feste einen Kerker dargestellt hatte.
Der Gau von Inneil war ein beinahe in sich geschlossenes Gebiet, ein dicht bevölkertes Tal saftig grüner Hügel zwischen zwei vom Osidh Annova abgespaltenen Gebirgsrücken, die sich aufeinander zu verjüngten und am Ende beinahe aufeinandertrafen, sodass sie eine natürliche, schützende Einfriedung bildeten. Der Talkessel, den sie umschlossen, maß an der breitesten Stelle vielleicht sechzig Meilen und war nur unwesentlich länger. Besiedelt war die Gegend seit undenklichen Zeiten, und die Bewohner betrachteten sich als ein wenig außerhalb von Annar, wenngleich sie die Oberherrschaft anerkannt hatten, als in Norloch der Hohesitz wieder errichtet worden war. Die Menschen hier waren stolz auf ihre Selbstgenügsamkeit und ihre Unabhängigkeit, außerdem berühmt für ihre Spinnereiund Web-Erzeugnisse sowie für ihre Küche. Das Tal beherbergte zwei größere Ortschaften: Tinagel, wo der Verwalter lebte, und die Schule von Inneil. Daneben gab es zahlreiche Weiler wie Stormont, die bestenfalls aus ein paar Dutzend Häusern bestanden, und hunderte kleine, wohlhabende Gehöfte. Der Imlan ergoss sich durch die Mitte des Tals, genährt von zahlreichen Bächen, die frisch und kalt von den Berghängen herabstürzten.
Maerad ritt auf Schotterstraßen durch Felder, die von sauber gestutzten Weißdornreihen gesäumt wurden, welche gerade zu erblühen begannen. Häufig sah sie Bauernhäuser aus demselben gelben Stein, aus dem die Gebäude der Schule von Inneil errichtet waren. Viele davon waren von Obstgärten mit Bäumen umgeben, die mit rosa und weißen Blüten prangten. Die Blumen des
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