Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
deine Hände kaum davon lösen, als ich dich hereingebracht habe, so fest hattest du es umschlungen. Was ist dir nur so teuer, dass du es nicht loslassen kannst? Nichts ist so wichtig. Schlaf jetzt…«
Die Zeit begann wieder Formen anzunehmen und sich als Tag und Nacht abzuzeichnen. Am Tag, nachdem sie zum ersten Mal mit Mirka geredet hatte, gelang es Maerad, sich aus dem Bett zu erheben, wenngleich ihre Beine sich noch so zittrig anfühlten, dass sie kaum quer durch die Hütte zu laufen vermochte. Mirka stützte sie und gab Schnalzlaute von sich, während der Hund ihr auf dem Fuß folgte, als wollte auch er helfen. Schon das Durchschreiten des Raumes verursachte Maerad Schwindel, und sie musste sich setzen; Mirka wartete, bis ihr Zittern verebbte, dann ließ sie Maerad geduldig einen neuen Versuch unternehmen.
Am Tag danach wagte sie sich nach draußen. Ihre Augen tränten im grellen Tageslicht. Sie setzte sich und sah zu, wie Mirka, die sich als wesentlich kräftiger erwies, als sie aussah, Holz hackte und ihre Hühner versorgte, die in einem Pferch umherscharrten, welcher kaum kleiner war als die Kate selbst. Die Hütte wirkte von außen ebenso ungewöhnlich wie von innen. Der Lehmkamin trotzte schräg stehend der Schwerkraft, die Wände bildeten ein buntes Gemisch aus Schlammbewurf, Stein und Holz; dennoch vermittelte das Gebilde etwas sonderbar Heimeliges.
Im unbarmherzigen Licht des Tages sah Mirka noch seltsamer aus. Ihre Kleider, die unverkennbar einst vielen verschiedenen Menschen gehört hatten - Männern, Frauen, Kindern - und die sie der Wärme wegen übereinandergezogen hatte, hingen formlos an ihr. Mittlerweile waren sie alle zur selben gräulich brauen Farbe ausgebleicht und schienen an ihrer Haut zu haften. Offenbar badete sie nie. Ungeachtet dessen empfand Maerad Mirkas Nähe keineswegs als unangenehm; sie roch nach Holzrauch, Erde und einem bitteren Kraut. Der Hund, den Mirka Inka rief - was, wie Maerad später herausfinden sollte, das Pilanel-Wort für Hund war -, folgte ihr überallhin, immer dicht auf den Fersen. Wenn sie fischte, rollte Inka sich neben ihr ein und döste, und nachts schlief Mirka neben dem Hund am Feuer. Maerad hörte Inka niemals bellen oder knurren, und nachdem Inka sie einmal beschnuppert und entschieden hatte, dass Maerad harmlos war, schenkte das Tier ihr keinerlei Beachtung mehr. Es war, wie Mirka selbst, eine magere, zähe Kreatur - eine ständige, stille Gegenwart, die nach einer Weile wie ein Teil von Mirka selbst wirkte.
Die Hütte lag auf einer kleinen Lichtung in einem Kiefernwald verborgen, der eine schmale Schlucht an der Nordseite des Osidh Elanor füllte. Auf einer Seite wuchs ein uralter Birnbaum, an dessen knorrigen Asten dicht gedrängt saure grüne Früchte hingen. Entlang der Wände des Hühnerstalls wucherten wirr ineinander verschlungen allerlei Sträucher. Ein kleiner, eiskalter Bach, in dem Elritzen und andere Fischlein funkelten, verlief nah bei der Hütte, und an sonnigen Tagen saß Mirka stundenlang mit ihrer Angelrute dort und fing die Gebirgsforellen, die den Großteil ihrer Kost bildeten. Hinter ihr ragte schwindelerregend der Osidh Elanor auf, mit all seinen Schneefeldern, Tannenwäldern und nackten grauen Gipfeln, doch Maerad konnte nicht über die Schlucht hinaus in das Hügelland am Fuß der Berge sehen.
Mirka teilte ihr mit, dass sie sieben Tage lang eher tot als lebendig auf ihrer Pritsche gelegen hatte. Maerad war einfach auf ihrer Schwelle aufgetaucht, und Mirka hatte sie bei sich aufgenommen, ohne zu zögern, hatte sie versorgt und ins Leben zurückgeholt. Das Letzte, woran Maerad sich erinnern konnte, war die Begegnung mit Ardina. Sie vermutete, dass die Elidhu sie über den Pass hinab zu der alten Frau gebracht hatte, damit diese sie gesund pflegte. Maerad zählte mit den Fingern nach; sieben Tage bedeuteten, dass etwa sieben Wochen verstrichen sein mussten, seit sie Ossin verlassen hatte, und mittlerweile Herbst herrschte.
»Ich muss bald aufbrechen«, sagte sie. »Ich habe so viel Zeit verloren.« »Wie kann man Zeit verlieren?«, entgegnete Mirka. »Zeit gehört doch niemandem.« Sie grinste. »Solange deine Beine weich wie nasse Lappen sind, kannst du nirgendwohin gehen. Außerdem musst du Fleisch auf die Rippen bekommen.« Sie kniff Maerad so heftig in den Unterarm, dass sie aufschrie. »Du bist dürr wie ein krankes Huhn.«
»Du hast wohl recht«, gab Maerad sich geschlagen. Sie schaffte es tatsächlich kaum über Mirkas
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