Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
aufgesogen und anschließend doppelt auf sie zurückgefedert hatte; ebenso wenig ähnelte es der Machtlosigkeit, die sie am Gwalhain-Pass befallen hatte. Dies war etwas völlig anderes; sie spürte die Kraft in sich und wusste, dass die Magie in ihr leuchtete, doch aus irgendeinem Grund war sie außerstande, sie einzusetzen.
Dharin glotzte sie ehrfürchtig an, und ihr fiel ein, dass er ihre Macht noch nie gesehen hatte. Sie richtete sich auf, stählte ihren Willen und versuchte es erneut. Wieder geschah nichts. Verwirrt schüttelte sie den Kopf, doch mittlerweile hatten sie die Schlitten fast erreicht, die sich quergestellt hatten, um ihnen den Weg zu versperren. Dharins Gespann vollführte einen wilden Schwenk, um einen Zusammenprall zu vermeiden. Er zielte auf eine winzige Lücke zwischen dem rechten Schlitten und dem daran anschließenden Hang und befahl den Hunden, dichter nebeneinander zu laufen. Wenn sie es durch den Spalt schafften, könnte es ihnen vielleicht gelingen, den Jussacks zu entwischen.
Wild rasten sie auf die Lücke zu; im letzten Augenblick trieb der Jussack seinen Schlitten aus dem Weg. Einen Lidschlag lang sah Maerad im Vorbeipreschen sein Gesicht: kalte Augen, ein blonder, am Kinn gegabelter Bart. Kurz dachte sie, dass es überhaupt nicht menschlich anmutete, dann erkannte sie, dass es mit seltsamen, blauen Malen tätowiert war, die sich um die Wangenknochen und die Augen rankten und ihn wild und fremdartig erscheinen ließen.
Dann hatten sie den Schlitten hinter sich gelassen und flogen förmlich das Tal entlang. Vielleicht würden sie es schaffen. Hoffnung keimte in Maerads Herz. Doch dann sackte Dharin plötzlich mit einem Grunzen vornüber; die Zügel erschlafften, und die verwirrten Hunde verhedderten sich und gerieten ins Straucheln.
Mit offenem Mund drehte Maerad sich um und erblickte einen Schaft, der unmittelbar unter Dharins Schlüsselbein herausragte. Der Pfeil hatte seinen Rücken durchdrungen. Maerad hatte ihn nicht einmal gehört. Demnach wirkte auch ihr Schutzschild nicht. Was war nur los mit ihr? Doch ihr blieb keine Zeit zum Nachdenken: Der Schlitten krachte splitternd gegen eine Fichte. Der Aufprall erschütterte Maerad bis ins Mark und riss die Hunde so jäh zurück, dass einige im Geschirr zu Fall kamen. Dharin wurde über die Randleisten geschleudert und landete auf Maerad.
Sie vergaß alles andere, wuchtete ihn mit einer Kraft von sich, die sie nicht in sich vermutet hätte, und bettete ihn längs neben sich in den Schlitten. Der schwarz gefiederte Schaft ragte aus seinem Rücken. Sie beugte sich über ihn, versuchte mit von Blut schlüpfrigen Händen, den Pfeil durch die Brust herauszuziehen, doch er hob die Hand und ergriff ihre Finger. Mühsam öffnete er die Lider und blickte Maerad ins Gesicht. Seine Augen waren blau und klar, sein Gesicht aschfahl.
»Das nützt nichts, Maerad«, presste er nach Luft ringend hervor. »Das Leben entweicht bereits aus mir.«
Während Maerad ihn anstarrte, strömte all die Liebe in ihr Herz, die sie für diesen sanftmütigen jungen Mann empfand. »Nein!«, rief sie aus. »Du darfst nicht sterben. Ich kann dich heilen.«
»Sie werden dich auch töten. Ich hoffe, dein Tod wird so gnadenreich wie meiner. Man hat mir erzählt-« Dharin zuckte zusammen, und ein Rinnsal Blut ergoss sich aus seinem Mund. »Man hat mir erzählt, dass es oft besser ist, sich selbst zu töten, als von diesen Leuten gefangen zu werden. Es tut mir leid, kleine Base.«
Maerad fand keine Worte, um etwas zu erwidern. Stattdessen beugte sie sich über ihn, umfasste seine Finger und streichelte ihm das Gesicht. Sanft drückte er ihre Hand und versuchte, etwas zu sagen. Sie hielt das Ohr dicht an seine Lippen.
»Falls du nicht getötet wirst … falls du je mit meiner Mutter sprichst… dann richte ihr ein Lebewohl von mir aus. Ich sehe sie jenseits der Tore wieder.« »Das werde ich. Dharin, ich würde alles für dich tun. Ich liebe dich.« Sein Blut schien überall an ihr zu haften, in ihren Haaren, an ihren Kleidern, ihren Händen, und immer noch quoll mehr davon aus ihm hervor. »Dir muss nichts leid tun; es ist meine Schuld. Alles ist meine Schuld. Du darfst nicht sterben.« »Nein.« Rasselnd sog Dharin den Atem ein und versuchte zu lächeln. »Nein … nicht deine Schuld. Ich liebe dich auch, Base. Und ich bin froh… dich kennen gelernt zu haben.« Mittlerweile blubberte Blut in seinem Mund. Er versuchte, etwas hinzuzufügen, doch Maerad konnte ihn
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