Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
staunte über den Klang. Honas entwickelte mehr Interesse an Maerad als an der Musik, doch das fiel nur Elenxi auf, der die beiden unauffällig von der gegenüberliegenden Seite des Tisches aus beobachtete. Er lächelte in seinen Bart. Maerad ging völlig in ihrem Spiel auf und hatte ihre Schüchternheit gänzlich vergessen.
Vielleicht waren sie doch nicht so furchteinflößend, diese Barden. Der anspruchsvollste Unterricht war jener in Hoher Magie. Dies war etwas, das Maerad noch nie formell gelernt hatte, wenngleich Cadvan ihr auf ihren gemeinsamen Reisen viel beigebracht hatte. Ein seltsamer Widerwille erfüllte sie, als sie sich zu ihrer ersten Lektion zu Nerilis Gemächern begab. Seit dem Abend ihrer Ankunft in Busk hatte sie nicht mehr mit der Obersten Bardin gesprochen, und sie war von der leichten Sorge erfüllt, dass sie nicht wissen würde, was sie sagen sollte. Nerili legte Bedacht darauf, ihr die Scheu zu nehmen.
»Also, Maerad«, meinte sie lächelnd, als Maerad eintrat. »Cadvan hat mir von deinen Großtaten erzählt - von deinem Sieg sowohl gegen einen Kulag als auch gegen einen Unhold. Es erscheint mir etwas seltsam, dich zu unterrichten, obwohl du bereits mehr vollbracht hast als die meisten Barden.«
An jenem Tag war Nerili schlicht gekleidet, dennoch empfand Maerad ihre Schönheit als atemberaubend, und sie selbst fühlte sich steif und unbeholfen. »Es gibt noch so vieles, was ich nicht weiß«, murmelte sie verlegen. »Ich habe an gar nichts gedacht, als diese Dinge geschahen. Es ist - einfach aus mir hervorgebrochen.«
»Ich verstehe. Tja, es wird uns anfangs einfach seltsam vorkommen. Ich bin sicher, das legt sich, sobald wir mit der Arbeit beginnen.«
Und so war es auch, wie Maerad bald feststellte.
Sie arbeiteten in einem Raum, der eigens für den Unterricht abgestellt war: Er enthielt kaum Möbel, nur einen großen Tisch und eine Bank an der Wand, auf die sie sich beide setzen konnten, wenn es sein musste. An der südlichen Wand stand ein breites Fenster offen, durch das der Wind hereinwehte und ihnen das ferne Seufzen der See zutrug.
Ein Großteil dessen, was Maerad in den folgenden Wochen lernte, war die Theorie über das, was die Barden als das Wissen bezeichneten, das sich grob in die drei Künste des Lesens, des Erschaffens und des Behütens untergliedern ließ, die jeweils untereinander verflochten waren. Außerdem wurden ihr verschiedene Überlieferungen über die Hohe Sprache beigebracht, von denen einige einander widersprachen. »Es gibt keine einzige Wahrheit«, erklärte Nerili. »Aber all diese Wahrheiten, miteinander verwoben, könnten uns ein Bild dessen liefern, was tatsächlich wahr ist. Deshalb ist es wichtig, all die verschiedenen Geschichten zu kennen. Wir können nie den ganzen Himmel auf einmal sehen.«
Ebenso wurde Maerad in das undurchsichtige Gefüge bardischer Ethik eingeführt. Es hatte sich über viele Jahrhunderte hinweg entwickelt und kreiste um die Vorstellung vom Gleichgewicht. Je mehr Maerad über diese Dinge erfuhr, desto mehr verwunderte es sie, dass Barden überhaupt Magie wirkten: Ihre Macht einzusetzen schien mit allerlei Verantwortung und Auswirkungen überladen zu sein, und in den meisten Fällen schmiedeten Barden ihre Kräfte anscheinend, um sie nicht zu nutzen. In jenen Tagen dachte sie oft voll Unbehagen an die Gelegenheiten, als ihre Macht unbeherrschbar und entsetzlich aus ihr herausgebrochen, und an das Hochgefühl, das sie verspürt hatte, als endlich die Hohe Sprache in ihr erwacht war. Große Magie, so erfuhr sie, war etwas, das selten und nur in äußerster Not ausgeübt wurde. Das Gleichgewicht war zerbrechlich, und schon die geringste Handlung konnte unerwartete und unbeabsichtigte Folgen haben. Barden, die sich der Finsternis zugewandt hatten, die Untoten, waren jene, die Macht mehr als alles andere begehrten und die Verantwortung des Gleichgewichts scheuten. »Die Schwierigkeit ist natürlich«, meinte Nerili während der ersten Sitzung nachdenklich, »dass sie nicht denselben Beschränkungen ihrer Macht unterliegen und daher auf Kräfte zurückgreifen und Handlungen setzen können, die Barden verwehrt sind. Dadurch kann es sich schwierig gestalten, gegen sie zu kämpfen. Sie lachen über uns, weil sie behaupten, uns seien die Hände gebunden und wir wären schwach. Ungeachtet ihres Hohns sind wir durchaus in der Lage, uns zu verteidigen, nur bedenken wir dabei selbst in äußerster Not, dass wir wie sie würden, wenn wir das
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