Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
er.
»Ja, es war in der Tat hart, als sie starb«, bestätigte Ankil. »Es ist immer schwierig, Barden in einer Familie zu haben, und wir haben gleich so viele…Jedenfalls begrub ich meine Kiranta und weinte um sie. Ich vermisse sie immer noch, jeden Tag vermisse ich sie. Also stellte ich sicher, dass meine Kinder alles hatten, was sie brauchten, und zog hier herauf. Und seitdem lebe ich hier.« In der ausgedehnten Stille, die seiner Geschichte folgte, fragte Maerad, wie lange Ankil schon auf dieser wunderschönen, abgeschiedenen Weide hausen mochte. Hundert Jahre? Zweihundert?
»Wolltest du nie zurück in die Schule?«, erkundigte sie sich.
»Ah, nein, junge Bardin«, antwortete er. »Es war längst zu spät für mich, außerdem war da ja noch immer die Sache mit dem Lesen und Schreiben. Hier bin ich nützlicher. Ich züchte Ziegen und stelle einen recht bekannten Käse her.« »Er ist zu bescheiden«, warf Elenxi ein. »Ankil ist ein berühmter Heiler, und viele suchen ihn selbst hier auf, um seine Hilfe zu erbitten.«
»Pah, das ist doch gar nichts«, meinte Ankil. »Ich bin rundum zufrieden.« »Waren unter deinen Kindern auch Barden«, fragte Maerad neugierig. »Ja, zwei sind Barden«, erwiderte Ankil. »Eines in Gant, das andere in Turbansk. Und meine Enkelin ist die Oberste Bardin von Busk.« »Nerili?«, rief Maerad überrascht aus.
»Ja, meine kleine Neri. Sie ist das Ebenbild meiner Kiranta, und wenn ich sie sehe, erfüllen mich jedes Mal zugleich Stolz und Traurigkeit; sie ruft in mir so viele glückliche und auch kummervolle Erinnerungen wach. Ihr seht also, obwohl ich selber nicht zum Barden tauge, habe ich durchaus meinen Beitrag geleistet.«
Elenxi blieb über Nacht, ehe er aufbrach und den Berg hinabstieg, um sich mit weiteren Dörfern abzusprechen. Sie genossen eine vergnügliche Zeit zusammen; so vergnüglich, dass Maerad sich am Morgen darauf äußerst unwohl fühlte. Die beiden einander so ähnlichen und doch so grundverschiedenen Brüder faszinierten sie: der eine ein Barde des Ersten Zirkels, der andere ein Ziegenhirte. Die gegenseitige Achtung zwischen den beiden war nachgerade greifbar. Nichts vermittelte den Eindruck, dass Elenxi sich in irgendeiner Weise überlegen fühlte; tatsächlich spürte Maerad, dass er sich seinem Bruder fügte wie sonst niemandem, nicht einmal Nerili. Wie sie erfuhr, war Elenxi der um vier Jahre ältere Bruder, daher erklärte das Alter es nicht.
Im Verlauf der nächsten Tage begann sie, Elenxis Respekt zu verstehen. Trotz seiner Unbelesenheit erwies Ankil sich als so weise wie Nelac, Cadvans Lehrmeister in Norloch, und unter seiner Freundlichkeit und augenscheinlichen Schlichtheit verbarg sich ein selten reger Geist. Er besaß ein unglaubliches Gedächtnis, und das Leben hatte ihm reichlich Zeit zum Nachdenken beschert. Ankil verkörperte ein wahres Füllhorn von Liedern und Geschichten, und sein Wissen um Kräuterkunde war, wie Cadvan ihr versicherte, in ganz Thorold unerreicht.
Er führte ein Leben behaglicher Kargheit. Im Haus war alles ordentlich und sauber, und alles darin besaß die Schönheit hervorragend gefertigter Gebrauchsgegenstände. Zierwerk gab es wenig, Bücher fehlten gänzlich. Die Küche beherrschte ein schmiedeeiserner Holzofen mit einem riesigen, rußgeschwärzten Kamin. Die Einrichtung bestand nur aus einem breiten Tisch und Stühlen. Die Wände wurden von Regalen gesäumt, in denen reichlich Flaschen mit getrockneten Kräutern, Hülsenfrüchten, Getreide und Salz standen. Weitere Kräuter hingen in Büscheln von der Decke. Dazwischen befänden sich auch Zwiebeln und Knoblauch, die den Raum mit einem durchdringenden Duft erfüllten. Der Keller war sorgfältig gegen Feuchtigkeit abgedichtet und enthielt Gläser mit in Essig eingelegtem Gemüse, Marmeladen, Eingemachtem und Honig, Säcke mit Nüssen, Getreide, Mehl und Hülsenfrüchten sowie Körbe voll Obst und Gemüse aus dem Vorjahr - runzlige, goldene Apfel und Birnen, Rüben, Kartoffeln und Karotten. Und Fässer um Fässer voll Wein. Fleisch gab es nicht, da Ankil keines aß. Ein Teil der Lebensmittel und der gesamte Wein stammten aus dem Dorf, aber den Großteil dessen, was Ankil verzehrte, baute er selbst an und machte er selbst ein.
Maerad stellte fest, dass Besucher nicht so selten waren, wie Ankil angedeutet hatte; mindestens einmal pro Woche mühte sich ein Dorfbewohner aus Velissos die Weide herauf, begleitet von einem Pony, das eine Ladung auf dem Rücken trug - Holz,
Weitere Kostenlose Bücher