Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
Zaum, Hem. Ich will seinen Schnabel nicht in unserem Abendessen.«
»Aber was können wir schon bewirken?« Abwesend hob der Junge Irc auf, der sein Missfallen darüber kundtat, indem er ihm in die Hand pickte. Hem fühlte sich in jener Nacht angesichts all des Leids, das er gesehen hatte, betäubt und hilflos. Er dachte an Boran, dessen größte Freude es gewesen war, auf dem Marktplatz zu sitzen, bitteren Kaffee aus seinen kleinen Silbertassen zu trinken und mit Freunden zu tratschen. Ein so quicklebendiger Mann sollte nicht tot sein, und doch war er es. Das kleine Mädchen aus Baladh mit den entsetzlichen Verbrennungen. Lanik in der Zuflucht vor ein paar Tagen, Qualen leidend, die nur der Tod zu lindern vermocht hatte. Mark, den Hem nach dem Willen der Untoten in jener schrecklichen Nacht vor so langer Zeit hätte töten sollen. Sein Vater, an den er sich nicht erinnern konnte. Cadvan. Unzählige andere, deren Namen er nicht kannte, die aufgeschrien hatten und denen Hem vergeblich zu helfen versucht hatte.
»Das zu wissen ist uns nicht gegeben, und vielleicht können wir auch gar nichts bewirken. Aber das ist kein Grund dafür, dass wir es nicht zumindest versuchen können«, meldete Saliman sich leise zu Wort. »In der Finsternis leuchtet das Licht heller.«
»Harte Worte, mein Freund«, meinte Soron. »Auch wenn sie harmlos erscheinen mögen.«
»Nicht so hart, wenn man die Alternative bedenkt.« Saliman schaute auf und sah Hem mit klarem, dunklem Blick in die Augen. »Nichts ist ohne Bedeutung. Selbst wenn die Finsternis uns verschlingt, dulde ich keine Verzweiflung.«
»Keine Verzweiflung!«, stieß Zelika verbittert hervor und drehte sich um. »Was gibt es denn sonst noch? Ich habe keine Hoffnung, und ich denke, wir haben keine Wahl. Aber ich werde mich nicht hinlegen und still sterben - ganz gleich, wie viele Verstümmeler und Hundsoldaten und Untote es gibt. Und selbst wenn sie mich letztlich töten, verfluche ich sie noch im Sterben.«
Sie hatte die Unterlippe kampflustig vorgestreckt, und ihre Augen sprühten Funken; und mit einem Satz seines Herzens erkannte Hem zum ersten Mal, seit er Zelika aus dem Badezimmer in Salimans Haus inTurbansk kommen sehen hatte, wie hübsch sie war. Er errötete und wandte sich ab, weil er fürchtete, sich verraten zu haben, doch Zelika starrte mit gerunzelter Stirn zu Boden und schien nichts bemerkt zu haben. Saliman lächelte. »Gesprochen wie eine wahre Baladherin«, sagte er in herzlichem und belustigtem Tonfall. »Obwohl das nicht ganz dem entspricht, was ich meinte.« Sie aßen ihre kalte Mahlzeit, dann legten sie sich zum Schlafen auf die feuchten Pritschten. Der Platz auf dem Boden reichte gerade für die fünf aus.
Trotz seiner tief sitzenden Müdigkeit lag Hem noch eine Weile wach und lauschte dem steten Atem seiner Gefährten. Saliman hatte nicht von ihrem bevorstehenden Abschied geredet, wenngleich Hem wusste, dass das Wissen darum unausgesprochen hinter all seinen Worten an jenem Abend gestanden hatte. Der Gedanke an ihre Trennung lastete schwerer auf Hem als alles andere. Es war genauso schlimm, wie es gewesen war, Maerad zurückzulassen; schlimmer noch, denn mittlerweile wusste er mehr als damals und konnte sich nicht mehr so gut etwas vormachen. Hem hielt es für sehr wahrscheinlich, dass er Saliman nie wiedersehen würde.
Kurz nach dem Frühstück erhoben sich Saliman und Soron und bereiteten sich auf den Aufbruch vor. Sie verabschiedeten sich rasch und wünschten sich gegenseitig Glück. Hem hielt sich im Hintergrund, weil ihn das Ausmaß seiner Gefühle zurückscheuen ließ, und Saliman verabschiedete sich von ihm als Letztem. Er nahm Hems Gesicht zwischen die Hände und küsste den Jungen auf die Stirn: Wie schon einmal zuvor, entfachte der Kuss eine goldene Blume im Frost, der Hems Seele betäubte, und der Junge blickte mit einer unbändigen, verzweifelten Dankbarkeit in Salimans Antlitz. »Mach’s gut, Hem«, sagte Saliman in der Hohen Sprache, trat zurück und musterte ihn mit ernster Miene. »Möge das Licht deinen Pfad erhellen.«
»Und den deinen«, erwiderte Hem, der spürte, wie eine steife Förmlichkeit seinen Körper lähmte. Er holte Luft, weil er noch mehr sagen wollte, allerdings stellte er fest, dass ihm die Worte fehlten: Er wollte zu vieles ausdrücken und brachte deshalb gar nichts hervor. In einem jähen Anflug von Liebe umarmte er den Barden, umklammerte ihn heftig, atmete den würzigen Geruch seiner Haut ein. Dabei fiel ihm
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