Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
er strahlte eine Macht aus, von der selbst Irc zu sagen vermochte, dass sie viele Male stärker war als jede, der er zuvor begegnet war. Die Gestalt war groß und kräftig gebaut, gekleidet in eine schwarze Rüstung ohne Wappen, auch der Helm war schlicht und schmucklos. Uber den Rücken prangte eine Scheide, die Ircs Aufmerksamkeit erregte: Wie alles andere an dem Untoten wies sie keinerlei Verzierungen auf, bestand nur aus funkelndem Stahl, der einen bösen Schimmer abstrahlte. Aus der Scheide ragte der Knauf eines Schwerts, von dem Irc sagte, es hätte ihm in den Augen wehgetan; es war mit zahlreichen verschlungenen Runen versehen, die sich zu winden schienen, wenn er sie betrachtete. Das andere Wesen stand hinter dem Steintisch verborgen. Irc konnte nur seine Stimme hören, die ihmmehr Angst einflößte als alles andere, was ihm in seinem kurzen Leben begegnet war. Laut Ircs Worten war sie schlimmer als jede entartete Kreatur, die er in den Hügeln von Glandugir gesehen hatte. Die Stimme klang melodisch und wunderschön und sprach immer leise, doch irgendwie ließ diese Schönheit sie umso Furcht erregender wirken. Irc sagte, am schrecklichsten war, dass sie sich anhörte, als schwänge Schmerz darin mit. Ein Gefühl unermesslicher körperlicher Qualen schwang in der Stimme mit und versah jedes Wort mit einer bitteren Note hilfloser Böswilligkeit. Sie schien vollkommen bar jeden Mitgefühls für sich selbst oder für alles andere und strahlte eine Unversöhnlichkeit aus, die für Ircs Empfinden an Wahnsinn grenzte. Nicht jene Art Wahnsinn, die eine Seele in Scherben zurücklässt, sondern eine Vernunftwidrigkeit, geschmiedet von einem bösen, klugen und unvorstellbar starken Willen.
Die Gesamtheit jenes Willens war auf den Untoten gerichtet, der davor stand, und der Untote zeigte sich unbeeindruckt und furchtlos.
Der Untote konnte nur Imank sein, der Hauptmann der Schwarzen Armee. Was die andere Gestalt anging, so vermutete Irc, dass er sich in der Gegenwart des Namenlosen befinden musste, eine Erfahrung, die sehr wenige lebende Wesen durchgemacht und überlebt hatten. Irc zog sich bibberndein wenig in den Sack zurück und wünschte sich, er wäre woanders.
Der Namenlose und Imank stritten, und zu seiner Überraschung stellte Irc fest, dass er einen Teil ihres Gesprächs verstand, weil sie die Hohe Sprache verwendeten. Unwillkürlich wurde er neugierig, und da er nicht bemerkt worden war, ließ seine Angst ein wenig nach. Er begann zu lauschen.
Die Unterhaltung setzte sich eine lange Weile fort. Irc fand sie verwirrend - den Großteil verstand er nicht. Dennoch konnte er sich zusammenreimen, dass Imank die Herrschaft über Suderain als Belohnung für seine treuen, mehrere Jahrhunderte währenden Hauptmanndienste wollte; allerdings gebarte der Untote sich dabei keineswegs wie ein Bittsteller. Und der Namenlose schien zögerlich, ihm solche Macht zu gewähren. Unter allem, was gesagt wurde, schwelte eine unausgesprochene Bedrohung; Irc fiel auf, dass Imank keinen Titel für den Namenlosen verwendete, sondern ihn einfach mit seinem Gebrauchsnamen anredete, Sharma.
»Wenn ich nicht die Oberherrschaft habe, Sharma«, sagte Imank, »kann ich meine Streitkräfte nicht nach Annar führen. Ich kann die Aufrührer in Car Amdridh nicht ohne entsprechende Befehlsgewalt deinen vollen Willen spüren lassen. Und meine Streitkräfte verlangen eine angemessene Anerkennung für ihre Treue dir gegenüber.«
»Wenn der Feldzug abgeschlossen ist«, erwiderte Sharma leise, »wirst du deinen wahren Lohn erhalten.«
Irc fragte sich, was >wahrer Lohn< bedeuten mochte.
Der Streit setzte sich noch eine Weile fort und wurde zunehmend hitziger. Irc spürte ihren Hass und ihre gegenseitige Furcht, und als ihr Zorn anschwoll, nahmen auch der Wind und die Blitze rings um den Turm zu, und die Erdstöße, die Dagra seit Stunden erschütterten, verstärkten sich. Imank begann zu brüllen und drohte mit offenem Aufstand, sollte der Namenlose den Forderungen des Untoten nicht nachgeben. Danach trat eine fürchterliche Stille ein.
»Ich sehe keinen treuen Hauptmann vor mir«, sagte der Namenlose mit kalter Stimme. »Ich sehe eine Kreatur der Gier und des Verrats.«
Schneller, als das Auge zu erfassen vermochte, zog Imank das Schwert und griff Sharma an. Ein gewaltiger, albtraumhafter Kampf entbrannte. Irc kauerte reglos in seinem Sack, konnte sich vor blanker Angst nicht bewegen.
Dann wölbte sich etwas Goldenes durch die Luft, prallte
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