Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
Stunden wirkten viel zu lange; einmal stand Hem sogar auf, um zu überprüfen, ob mit der Uhr alles in Ordnung war.
Irc hockte auf der Armlehne eines Stuhls. Erschöpft von seinem Abenteuer und wohl satt vom Essen war er tief und fest eingeschlafen. Zelika war wieder aus ihrem Zimmer zurückgekehrt, trocken zwar, aber immer noch in voller Rüstung. Ihr Schwert steckte nicht in der Scheide. Sie nahm Platz, legte es sich über die Knie und sah Hem an. »Du solltest deine Kampfausrüstung anlegen«, meinte sie.
»Warum?«, fragte Hem gereizt.
»Nur für alle Fälle. Im Gegensatz zu dir habe ich gesehen, was durch das Tor kommen wird.«
Hem zuckte freudlos mit den Schultern. Wenigstens würde es ein wenig Zeit vertreiben. Eine turbanskische Kampfausrüstung war für eine Rüstung nicht besonders schwer, aber auch alles andere als bequeme Kleidung.
Als die Mitternachtsglocke erscholl, begann Hem, auf Salimans Rückkehr zu warten. Dadurch schien die Zeit noch langsamer zu vergehen; jeder Augenblick zog sich schier endlos hin. Soron wurde unruhig und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. Als die erste Glocke nach Mitternacht schlug, war immer noch nichts geschehen, außer dass der Regen ein wenig nachgelassen hatte. Sein Geräusch hatte eine einschläfernde Wirkung. Hem gähnte. Für ihn wares ein anstrengender Tag gewesen, und auch die nervenaufreibende Warterei empfand er als ermüdend. Soron beugte sich zu ihm und bot ihm eine Flasche an.
»Medhyl«, erklärte er. »Trinkt beide davon. Er schützt gegen Müdigkeit. Wir müssen jetzt alle hellwach bleiben.«
Hem nippte an dem geistigen Bardengetränk und spürte, wie seine Erschöpfung verflog. Dann legte er den Kopf schief: War das etwa das Geräusch rennender Füße, das aus der Ferne zu ihm drang? Er schaute zu Soron und sah, dass auch der Barde lauschte. Ja, er war überzeugt davon. Und es waren viele Menschen. Aus noch weiterer Ferne vernahm er das Klirren von Metall auf Metall und vereinzelte leise Schreie. Aufgeschreckt erhob sich Soron und verschwand kurz, dann kehrte er mit einem über die Schulter geschlungenen Bündel zurück. Zelika sah ihn fragend an: Sie besaß kein Bardengehör und wusste daher nicht, worauf Hem und Soron lauschten. »Saliman ist noch nicht zurück«, stellte Hem unruhig fest.
Soron blickte ihn an. »Ich rechne jeden Lidschlag mit ihm«, erwiderte er. »Ich denke, wir sollten uns jetzt in die Westkammer begeben. Hem, weck Irc besser auf.« Hem hob Irc auf. Der Vogel öffnete ein Auge und stieß ein leises Krächzen des Missfallens aus. Soron ergriff eine Lampe, und die Kinder folgten ihm in die Westkammer. Es handelte sich um einen runden Raum mit einer Kuppeldecke und verputzten, trübroten Wänden, die schlichte, goldene Pilaster zierten. Sorons Lampe warf merkwürdige Schatten an die Wände. Die Kammerwies mehrere Türen auf. Nach der Enge des Raumes, den sie gerade verlassen hatten, wirkte die Westkammer überaus groß, und ihre Schritte auf dem Fliesenboden hallten beunruhigend wider. Von der Mitte des Raumes gingen die Fliesen in einem eigenartigen strahlenförmigen Muster von einem runden, auf Hochglanz polierten, schwarzen Stein in alle Richtungen. Soron stellte sein Bündel daneben ab und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden. »Wir hätten Kissen mitbringen sollen«, meinte Hem.
»Ich bezweifle, dass wir lange hier verweilen werden«, entgegnete Soron. Zelika schwieg, blickte aber misstrauisch drein. Mittlerweile konnte selbst sie über dem steten Prasseln des Regens die Geräusche in der Stadt draußen hören. »Wird Saliman bald hier sein?«, fragte Hem mit bebender Stimme.
»Ich denke schon«, gab Soron ungerührt zurück und bedeckte die Lampe. »Aber ob dem so ist oder nicht, ich fürchte, wir können nicht mehr lange warten.« Danach folgte ein langes, betretenes Schweigen, während dem sie in der dunklen Kammer des verwaisten Palastes saßen. Hem war den Tränen nahe; Soron ließ sich zwar nichts anmerken, dennoch war Hem überzeugt davon, dass Saliman mittlerweile längst eingetroffen sein müsste. Zelika, von der während der ganzen Nacht kaum ein Wort gekommen war, hockte reglos da; auf ihrem Schoß ruhte die blanke Klinge. Nach einer Weile hörten sie Schritte, die sich so anhörten, als stammten sie aus dem Ernan selbst. Zelika schreckte hoch und ergriff ihre Waffe. Etwas langsamer taten es ihr Soron und Hem gleich, die aufmerksam lauschten. Hem war sicher, dass es sich nur um eine Person
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