Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
drei Barden.
»Wissen die nicht, dass die Schwarze Armee jeden Augenblick diese Straße entlang marschiert kommen könnte?«, fragte Hem verwundert, während er schlaflos in der Kälte lag und zu den klaren Wintersternen emporstarrte.
»Offenbar nicht«, erwiderte Soron. »Ich frage mich, wer sie sein mögen.« »Spielleute, so wie es sich anhört«, meinte Saliman schläfrig.
Hem entsandte sein magisches Gehör, jene besondere Gabe von Barden. Er vernahm die Klänge eines Hackbretts und einer Flöte, vielleicht auch einer Leier, aber er erkannte keines der Lieder. Er glaubte, es wurde auf Annaren gesungen, und die Stimmen klangen fröhlich und furchtlos. Plötzlich erfüllte ihn Sehnsucht nach schlichter Kameradschaftlichkeit.
»Ich würde gern mit ihnen reden«, sagte er. »Sie klingen überhaupt nicht gefährlich.«
»Leg dich schlafen«, gab Saliman zurück.
Hem seufzte und wickelte sich in seine Decke. In dieser Nacht schien der Boden besonders hart zu sein.
Die Menschen in dem Wagen reisten wie die drei Barden nordwärts, und so folgten sie ihnen den ganzen nächsten Tag in umsichtigem Abstand. Irc war außer sich vor Neugier und verbrachte den Großteil des Tages damit, sie zu beobachten und mit Berichten zurückzukehren. Anscheinend waren die Leute zu dritt, zwei Männer und eine Frau. Die Krähe war ganz sicher, dass es sich weder um Barden noch um Untote handelte. Seltsamerweise bestand der Wagen - zumindest für Irc aus Gold.
Gold ?, fragte Hem nach.
Und sie befördern einen großen Schatz. Dabei hörte Hem die raffsüchtige Gier in Ircs Stimme. Juwelen und goldene Gegenstände.
Du bist doch nicht etwa in den Wagen geflogen?, fragte Hem bestürzt. Irc antwortete nicht darauf und schenkte Hems besorgter Warnung, sich von dem Wagen fernzuhalten, keine Beachtung. Glitzernden Gegenständen konnte Irc nicht widerstehen. Eine besondere Schwäche hatte er für Löffel; in Turbansk hatte Hem regelmäßig Ircs Horte plündern müssen, um den Vorrat im Speisesaal wieder aufzufüllen.
Verwirrt besprach Hem die Beobachtungen des Vogels mit Saliman, der in schallendes Gelächter ausbrach. »Wenn der Wagen aus Gold gemacht ist, tun mir die Pferde leid«, meinte er schließlich. »Ich denke, Irc hat eine Gruppe von Schauspielern entdeckt. Das Gold wird aufgemalt sein, die Juwelen aus Glas. Was Irc ja nicht stören würde … Das Licht allein weiß, warum sie mitten im Krieg durch diese Wildnis ziehen.«
»Schauspieler?«, bohrte Hem nach. »Was tun Schauspieler?«
»Hast du noch nie welche gesehen? In Turbansk gibt … ich meine, gab es einige gute Schauspieler …« Saliman verstummte kurz. »Das sind Menschen, die Geschichten erzählen und sie dabei nachspielen.«
»Ich habe Geschichtenerzähler gehört«, sagte Hem. In Turbansk hatte er einst auf dem Marktplatz einem legendären Geschichtenerzähler namens Nakar gelauscht, der ihn mit einer Schilderung der verlorenen Liebe der ersten Ernani von Turbansk gefesselt hatte, die von Wasserelementaren entführt worden war. Die Menge zu Füßen Nakars hatte schweigend und atemlos an jedem seiner Worte gehangen. Obwohl Nakar kein Barde war, hatte Hem die Macht, die er besaß, als sehr ähnlich jener des Bardentums empfunden, wenngleich er nicht zu sagen vermochte, weshalb.
»Nein, diese Leute stellen die Geschehnisse auf einer Bühne dar. Sie verkleiden sich als Könige oder Liebende oder Schurken und tun so, als wären sie die Menschen aus Legenden. Sie reisen von Stadt zu Stadt und verdienen sich so ihren Lebensunterhalt. In Suderain gibt es einige hervorragende Schauspieler, aber die meisten stammen aus Annar.«
Hem verstummte und versuchte, sich dies vorzustellen. »So etwas möchte ich gern einmal sehen«, meinte er schließlich.
»Wenn unsere Freunde nach Til Amon unterwegs sind, was ich vermute, wirst du das vielleicht«, erwiderte Saliman grinsend. »Aber du darfst nicht mit ihnen ausreißen.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Manche Leute tun es«, gab Saliman zurück.
Irc war bereits seit geraumer Zeit verschwunden, und Hem begann zu befürchten, er könnte die Schauspieler bestohlen haben und erwischt worden sein. Als der Vogel jedoch zurückkehrte, hatte er völlig andere Neuigkeiten zu berichten: Von hoch oben in der Luft aus hatte er auf der Südstraße in vielen Wegstunden Entfernung aufgewirbelten Staub gesehen. Darauf war er die Südstraße so weit entlang geflogen, wie er wagte, und hatte eine große Armee auf dem Weg nach Norden
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