Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
zu stolpern, und schaffte es rückwärts wieder von der Bühne, abermals ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Zurück im Wagen, stieß er ein gedehntes Seufzen der Erleichterung aus. Das war alles gewesen, was er zu tun hatte.
Während er nun darüber nachdachte, gelangte er zu dem Schluss, dass er wohl doch nicht aus dem Holz geschnitzt war, aus dem Schauspieler gemacht sind. Mittlerweile reisten Hem und Saliman seit ein paar Wochen mit den Schauspielern. Saliman hatte sich wenig überraschend als höchst begabt entpuppt, und Karim hatte sich sogleich seine Fähigkeiten als Musiker zunutze gemacht, indem er ein verstaubtes altes Hackbrett aus einer tiefen Truhe hervorgekramt hatte. Es war, wie Saliman ironisch meinte, fast stimmbar. Hem hingegen erwies sich als erschreckend unbegabt und machte so gut wie nie etwas richtig. Dennoch fühlte Hem sich abgesehen von seinen Bühnenpflichten als Page, Botenjunge, Herold und allgemein Mädchen für alles, die sich regelmäßig in Rituale öffentlicher Demütigung verwandelten, bei den Schauspielern wohl. Die Idee, Irc in den Stücken einzusetzen, war recht rasch wieder verworfen worden. Karim, der fand, der Auftritt eines Tieres könnte ein besonderer Glanzpunkt werden, hatte kurz versucht, der Krähe etwas beizubringen, doch Irc stellte sich als gefeit gegen die Verlockungen der Schauspielerei heraus: Entweder wurde ihm langweilig und er flog einfach weg, oder er versuchte, Hekibels falsche Juwelen zu stibitzen, wenn sie nicht hinsah. Er wurde merklich fülliger, da Marich und Hekibel ihn mit Leckerbissen verhätschelten, und er richtete sich ein Lager in einer der Verzierungen auf dem Dach des Wagens ein, wo er die Glasstücke und andere glitzernde Gegenstände verstaute, die zu stehlen er nicht widerstehen konnte. Irc entwickelte ein argwöhnisches Verhältnis zu Fenek, dem Hund, der ein paarmal mordlüstern nach ihm schnappte, als Irc versuchte, sich an dessen Abendessen gütlich zu tun; nach einer strengen Ermahnung von Saliman ließ der Hund den Vogel in Frieden, und Irc hielt sich von Feneks Futter fern.
Mit Marich, Karim und Hekibel zu reisen, hatte einen verführerischen Beigeschmack von Freiheit. Sie reisten, wie Karim es ausdrückte, »wohin der Wind sie trug«. Wenn der Wagen unter einem winterlich blauen Himmel durch die niedrigen Hügel rollte und Hem beobachtete, wie Wachteln aus dem Gras aufgeschreckt wurden oder Herden von Rehen und wilden Ziegen in der Ferne grasten, konnte er oft stundenlang vergessen, dass sie in einer dringenden Angelegenheit unterwegs waren.
Sie waren von Til Amon aus nordwärts gefahren und hatten sich so rasch wie möglich einen Weg durch das grüne Flachland von Lauchomon in Richtung der Weststraße gebahnt. Sie alle waren bedacht darauf, die Schwarze Armee möglichst weit hinter ihnen zu lassen, und dieser Teil Annars war vergleichsweise spärlich besiedelt, gesprenkelt mit abgeschiedenen Weilern, die sie rasch durchfuhren, bevor sie dann ostwärts schwenkten. Sobald sie den Gau von Til Amon verließen, endete die Steinstraße, danach kamen sie langsamer voran. Sie folgten einer Wagenspur, die sich nordwärts wand und von Dorf zu Dorf in Richtung der Weststraße schlängelte.
Saliman hatte vorgeschlagen, dass sie über Lukernil nach Inneil reisen sollten, wofür sie einfach der Weststraße zu folgen brauchten. Nach einer stirnrunzelnden Besprechung verschiedener anderer Möglichkeiten hatte Karim ihm beigepflichtet, dass sie ebenso gut nach Inneil wie woandershin fahren konnten. Saliman vermutete, wenn es irgendwo Neuigkeiten über Maerad gäbe, wäre Inneil ein wahrscheinlicher Ort dafür. Nach Inneil hätte er auf Lirigon gesetzt, doch das verhieße eine weite Reise nach Norden. Davon, wie schlecht er die Aussicht, Maerad zu finden, tatsächlich einschätzte, sagte er Hem nichts. Auch seine Bedenken, die Weststraße entlangzufahren, behielt er für sich: Nach allem, was er gehört hatte, bestand die sehr handfeste Gefahr, dort auf Banditen, marodierende Soldaten, Untote oder Schlimmeres zu stoßen; zudem fürchtete er, sie könnten der von Süden heranziehenden Schwarzen Armee begegnen. Aber die Weststraße stellte den schnellsten Weg nach Inneil dar, und waren sie dort erst angekommen, könnten er und Hem beschließen, was sie als Nächstes tun würden.
Vorläufig verlief die Reise ohne Anzeichen von Ärger. Das Wetter blieb frisch und gut, und sie hatten reichlich Vorräte, weshalb sie jeweils nur bei Einbruch der Nacht
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