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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Doppelbett stand.
    «Ein Doppelbett für dich allein?», fragte Sibylla.
    Lucia lachte: «Das Leben ist kurz, also nutze ich die Freuden, so gut ich kann.»
    Sibylla zögerte, dann fragte sie: «Und dein Ruf?»
    Lucia legte Sibyllas den Arm um die Schultern: «Ich genieße den besten Ruf, liebe Freundin. Die Leute werden nach Erfolg und Reichtum bewertet, nicht nach ihrer Tugend.»
    «Ich weiß. In Frankfurt ist es nicht anders. Hast du was, bist du was. Doch gilt das auch für Frauen?»
    «In Florenz ja, aber in Frankfurt? Ich glaube nicht. Die Florentinerinnen sind anders als die Frankfurterinnen.»
    Sibylla nickte: «Ja, das habe ich bemerkt. Doch worin liegt der Unterschied?»
    Lucia führte Sibylla in eine bequeme Sitzecke, schenkte Wein ein, lehnte sich zurück und wirkte plötzlich unvermutet ernst.
    «Die Zeit ist im Wandel», erklärte sie schließlich nachdenklich. «Und der Wandel geht von Italien aus.
    Die Kirche hat an Macht verloren. Schuld daran ist der Klerus. Niemand betreibt mehr Völlerei und Hurerei als die Geistlichen. Selbst der Papst hat uneheliche Kinder. Die Gesetze der Bibel, die zehn Gebote haben an Gültigkeit verloren, die Predigten an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Ja, es gibt in Florenz sogar zahlreiche Gelehrte – die meisten, so vermute ich –, die nicht mehr an einen Gott glauben.»
    «Da hat der Teufel seine Hand im Spiel. Er versucht immer wieder, die Menschen vom Glauben abzubringen.»
    Lucias Lächeln war fein. «Vielleicht», entgegnete sie. «In den Palazzi und unter der Gelehrten diskutiert man genau diese Fragen.»
    «Was reden die Leute denn?», hakte Sibylla nach. Sie war noch immer wissbegierig. Gleichgültig, um welches Gebiet es sich handelte, sie war immer bereit, Neues zu lernen.
    «Die Frage, die die Gelehrten stellen, lautet: Was ist, wenn der Teufel alle seine Sünden bereut?»
    Sibylla überlegte nicht lange. «Die Menschen werden gut und ohne Sünde sein», erwiderte sie überzeugt.
    «Wenn alle Menschen gut, gerecht und gottgefällig leben, dann brauchen sie keinen Gott mehr, oder?»
    Wieder dachte Sibylla nach, doch diesmal länger. Schließlich gab sie zu: «Du hast Recht, die Menschen brauchen Gott nur, wenn es ihnen schlecht geht. Ein glücklicher Mann, eine glückliche Frau hat keinen Wunsch nach der Fürsorge und dem Schutz Gottes. Die Gebete glücklicher Menschen wären wunschlos, die Beichtstühle blieben leer. Niemand brauchte mehr Predigten, es gäbe keine Ablässe mehr, keine Angst vor dem Fegefeuer oder der ewigen Verdammnis.»
    «Richtig. Du siehst also, dass es ohne den Teufel kein Bedarf für Gott mehr gibt. Wem nützt der Teufel also?»
    Sibylla erschrak. «Gott selbst und der Kirche», flüsterte sie.
    «Siehst du. Und liegt es da nicht nahe, anzunehmen, dass Gott und der Teufel eine Person sind? Zwei Seiten einer Medaille?»
    «Aber es ist Gotteslästerung, so etwas anzunehmen und auszusprechen», entgegnete Sibylla. Sie war etwas blass und sprach leise, als hätte sie Angst.
    «Trotzdem ist es so. Gott und der Teufel brauchen einander. Einer ist ohne den anderen nicht vorstellbar, unbrauchbar, überflüssig. Gott ohne den Teufel hat keinen Wert. Er ist da, die Sünden zu vergeben. Wenn es aber keine Sünden gibt? Auch Jesus ist ohne den Teufel überflüssig. Es heißt, er trüge die Schuld der Welt auf seinen Schultern, ist für uns am Kreuz gestorben. Doch ohne Schuld kein Kreuz. Ohne Kreuz keine Auferstehung.»
    Sibylla schüttelte den Kopf. «Deine Worte verunsichern mich. Es ist bestimmt nicht recht, solche Reden zu führen.»
    Lucia lachte. «In Florenz spricht man so, diskutiert man so, denkt man so.»
    «Habt ihr euch denn von Gott abgewandt?»
    «Nein», widersprach Lucia. «Wir haben uns nicht von Gott abgewandt. Sieh selbst: In Florenz gibt es prächtige Kirchen. Doch die Moral ist eine andere. Die Gelehrten haben die Antike wiederentdeckt. Man diskutiert über griechische Philosophen, über das Leben in der Antike, erweckt die Kunst der Zeit wieder zum Leben. Überall in Italien ist dieser Einfluss spürbar.»
    Lucia machte eine kleine Pause, dann sprach sie weiter: «Nicht nur die Männer beteiligen sich an Gesprächen über Philosophie, Kunst, Literatur und Politik. Auch die Frauen äußern ihre Meinung.»
    Sibylla lachte. «Die Frauen auch? Dann werden sich die Männer schön auf die Schenkel klopfen, wenn die Frauen ihre Meinung kundtun.»
    Lucia lächelte nicht mehr: «Nein, Sibylla. Die Männer hören ihnen zu. In Florenz

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