Die Pelzhändlerin (1. Teil)
darf eine Frau nicht nur schön sein; sie muss außerdem klug sein, sich in den schönen Künsten auskennen, vielleicht sogar selbst ein wenig schreiben oder malen. Durch die Auseinandersetzung mit der Kunst haben sich auch die Sitten verfeinert. Geschliffene Reden, tadellose Manieren, galanter, höflicher Umgang, das lieben die Florentiner, ja, sie machen sogar aus dem gesellschaftlichen Umgang eine Kunst. Wir Italiener sind der Schönheit verpflichtet. Es gibt kein Ideal, das uns erstrebenswerter erscheint. Deshalb auch die Hochachtung vor den Frauen, die Anmut, Schönheit, Witz und vor allem Klugheit und Tüchtigkeit in sich vereinen.»
Sibylla riss die Augen auf. «Haben die Männer denn keine Angst davor, dass sie von den Frauen übertrumpft werden, dass sie an Macht und Einfluss verlieren, den Gehorsam der Frauen aufs Spiel setzen?»
«Ich frage zurück: Glaubst du, dass Frauen weniger wert sind als Männer? Weniger fähig, Geschäfte und Politik zu betreiben? Weniger klug? Weniger einfallsreich?»
«Nein», gab Sibylla zu. «Ich kenne einige Männer, die dümmer sind als ich.»
«Siehst du!»
«Aber ich kenne außer dir keine Frau, die wirklich klug und geschäftstüchtig ist, dazu noch schön und anmutig», gab Sibylla zu bedenken.
«Das liegt an den Frauen. Du selbst hast es den Männern in Frankfurt gezeigt. Du machst bessere Geschäfte als sie, bist weitaus klüger als die meisten Männer. Doch du bist nicht stolz darauf, zeigst deine Kunst und dein Wissen zu spärlich. Ja, ich glaube sogar, du schämst dich für das, was du erreicht hast. Auf eine bestimmte Art schämst du dich dafür, hältst dich wahrscheinlich für vermessen, für anders als die anderen Frauen, für schlechter sogar.»
«Woher weißt du das?»
Erschrocken sah Sibylla die Freundin an, doch Lucia antwortete nicht auf ihre Frage, sondern sagte: «In Florenz sind die Frauen den Männern in vielen Dingen gleichgestellt. Zumindest in unserem Stand. Bald schon wird es in Frankfurt ähnlich sein, Sibylla. Dann wirst du dich nicht mehr schämen müssen, wirst niemals mehr glauben, dass du schlechter bist als die anderen Frauen, weil du anders bist.»
Mit diesen Worten stand Lucia auf und ließ Sibylla für eine kleine Weile allein. In Sibyllas Kopf summten die Gedanken wie in einem Bienenkorb. Lucia hatte Recht. Immer hatte Sibylla gewusst, dass sie anders war als die anderen Frauen in Frankfurt. Sie hatte immer genau gewusst, was ihr gefiel, was sie ablehnte. Sie hatte schon immer einen Sinn für Schönheit gehabt und etwas daraus machen wollen. Wenn Lucia Recht hatte, wenn es wirklich keine Sünde war, den Männern nachzueifern, dann war sie in Frankfurt vielleicht einfach nicht am rechten Platz. In Florenz, dachte Sibylla, würde ich nicht nur widerwillig von den Zünften, den anderen Handwerkern und dem Rat respektiert, sondern wäre geachtet und bewundert. Ich würde mich nicht mehr verstecken müssen für das, was ich kann und weiß, ich würde mich nicht mehr verstellen müssen. Ich wäre frei und unabhängig, den Männern gleichgestellt. Lucia hatte sich das verwirklicht, von dem sie träumte. Florenz, die Stadt, die ja sagt zum Leben. Frankfurt, die Stadt, die das Leben eindämmt, verdüstert und beschwert.
Und so wie die Städte war eben auch ihre Mode.
Sibylla stand auf und sah sich noch einmal genau in Lucias Schlafraum um. Sie ging zu einer kleinen Kommode, auf der ein wunderbar eingefasster Spiegel aus blitzendem Kristallglas stand. Bewundernd betrachtete sie die vielen kostbaren Schönheitsmittel, die auf der Kommode standen. Da gab es eine rote Paste, die auf die Wangen und die Brüste aufgetragen wurde. Verzierte Behälter aus Silber, Gold und Elfenbein bargen Salben, die den Teint weich und glatt machten, kostbare Puder, die einen sinnlichen Schimmer auf die Haut zaubern konnten, standen daneben. Dazu kamen unzählige Flakons, die mit edlen Duftwässern gefüllt waren. Rosenöl, Mandelöl, Sandelholzduft, Pfirsichkernduftwasser, Lavendelwasser. Nicht nur Lucia, nein, alle Florentinerinnen liebten es, sich mit Düften zu umgeben, die wie feine Nebelschleier durch die vielen, engen Gassen zogen und den üblichen Gestank nach Abfall und Verwesung überdeckten.
Sibylla betrachtete gerade hingerissen den zahlreichen Schmuck, den Lucia in einer Kassette aus edlen Hölzern mit Einlegearbeiten aufbewahrte, als Lucia zurückkam.
«Nun, wie gefällt dir mein Schlafzimmer?», fragte sie beim Eintreten.
«Es ist
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