Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Eine richtige junge Frau.»
Dann besann sie sich auf den Anlass von Sibyllas Heimkehr und fügte hinzu: «Das mit Eurem Vater tut mir Leid. Die Zunft hat schon das Begräbniszeichen von Haus zu Haus geschickt. Bald werden sie hier sein, um den Trauerzug zu führen.»
«Kann ich ihn noch einmal sehen? Wo ist er?», fragte Sibylla. Wenigstens einmal richtig anschauen wollte sie den Mann, dessen Tochter sie nun war.
Barbara schüttelte den Kopf. «Niemand wusste, dass Ihr kommt. Die Zunft hat vorgestern in der Kürschnerkapelle der Liebfrauenkirche Abschied genommen. Danach hat der Tischler den Sarg vernagelt.»
«Ich bin gestern Abend angekommen. Ein Klosterdiener hat mich begleitet», erwiderte Sibylla und seufzte.
«Na, na», tröstete die Magd. «Weint nicht. Euer Vater ist jetzt bestimmt im Himmel.»
Sie ahnte nicht, dass Sibyllas Seufzer nicht die der Trauer, sondern die der Anspannung und leisen Furcht vor einem neuen Leben waren.
Die Gesellen hatten gehört, dass jemand gekommen war. In der Annahme, es seien die Zunftbrüder, kamen sie in den Flur.
«Sibylla ist da», verkündete die Magd.
Der Altgeselle nickte. «Sibylla», rief er. «Es ist gut, dass Ihr gekommen seid. Es tut uns Leid, dass Euer Vater gestorben ist, doch das Leben muss weitergehen.»
Er machte eine Pause und stieß die Werkstatttür so weit auf, dass Licht in den Flur fiel. «Als ich Euch das letzte Mal sah, da wart Ihr noch ein Kind. Jetzt seid Ihr eine Frau», sagte er.
Sibylla entspannte sich, als sie merkte, dass niemand hier bezweifelte, dass sie Wöhlers Tochter war. Dann räusperte sie sich. «Ja, jetzt bin ich eine Frau und gekommen, die Werkstatt weiterzuführen.»
«Ihr wollt heiraten?»
«Alt genug bin ich wohl.»
«Und der Bräutigam?»
Sibylla lächelte. «Ich werde mir einen suchen müssen.»
«Das ist wohl wahr», bestätigte der Altgeselle, der Heinrich hieß, und fuhr sich mit der Hand über das stoppelige Kinn.
«Ihr kennt die Bräuche», murmelte er. «Es ist bei Gott nicht ungewöhnlich, dass ein Altgeselle Meister wird.»
«Wir werden sehen», erwiderte Sibylla vage.
Dann sah sie den Junggesellen. Er hatte bescheiden in der Nähe gestanden, ohne sich in das Gespräch einzumischen. Jetzt kam er zu ihr:
«Ihr kennt mich nicht, Meisterin», sprach er sie höflich an. «Jochen Theiler heiß ich und bin seit zwei Jahren hier.»
Sibylla nickte. Sie hatte gesehen, dass der Junggeselle, der vielleicht zehn Jahre älter war als sie, hinkte.
«Was ist mit Eurem Bein?», fragte sie.
«Ein Unfall als Kind», murmelte Jochen Theiler und schwieg dann.
Sibylla stand da und wusste nicht, was sie als Nächstes tun oder sagen sollte. Schließlich half ihr die Magd. «Ihr habt noch nichts gegessen. Kommt mit in die Küche, damit ich Euch ein Frühstück machen kann.»
«Gern», erwiderte Sibylla dankbar, folgte Barbara in die Küche, trank dort aber nur einen Becher mit viel Wasser und wenig Apfelwein und stocherte in einer Schüssel mit Grütze herum. Sie war noch immer so angespannt, dass sie keinen Bissen herunterbringen konnte, und eilte, sobald sie konnte, zurück in ihre Kammer.
Noch einmal sah sie sich sehr genau in diesem Zimmer um. Wie war Sibylla Wöhler gewesen? Wer war das Mädchen, das ihr so ähnlich sah, dessen Platz sie jetzt einnahm?
Sie betrachtete jeden Gegenstand in der Hoffnung, dass er das wahre Wesen der Wöhlertochter preisgeben möge, doch die Dinge blieben stumm, verrieten nichts über ihre vormalige Besitzerin.
Kurz darauf hörte sie Lärm aus den unteren Geschossen. Sie wusste, dass es die Zunftbrüder waren, und ging nach unten.
In der geräumigen Küche saßen acht Männer um den großen Tisch herum und tranken Apfelwein. Als Sibylla die Küche betrat, verstummten die Gespräche. Nur Barbara murmelte leise: «Der Alte ist noch nicht unter der Erde.»
«Halt den Mund, Weib!», herrschte ein Meister sie an.
«Grüß Euch Gott, Ihr Herren», sagte Sibylla.
Außer den beiden Wöhler-Gesellen saßen zwei fremde Gesellen und vier Meister, die nach dem Brauch den Sarg aus der Kirche hinaus zum Friedhof tragen sollten, in der Küche. Als sie ausgetrunken hatten, machten sich alle auf den Weg zur Liebfrauenkirche, wobei der Zunftmeister, der zugleich ihr Patenonkel war, Sibylla am Arm geleitete.
Der Trauergottesdienst flog an Sibylla vorüber. Sie war so damit beschäftigt, alles zu beobachten, dass nicht ein einziges Wort in ihrem Gedächtnis haften blieb. Ebenso erging es ihr beim
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