Die Pelzhändlerin (1. Teil)
verbluten und bestatteten sie neben ihrem toten Kind. Ida begehrte dagegen auf, beschuldigte die Nonnen, einen Mord begangen zu haben, indem sie dem Mädchen die Hilfe verweigert hatten. Sie drohte damit, zum Erzbischof zu gehen und zu erzählen, was in Engelthal vorgefallen war. Sie wollte es um des Mädchens willen, ahnte längst, dass es aus Angst verschwiegen hatte, wer der Vater des Kindes war. Sie muss das Mädchen sehr gern gehabt haben, wollte unbedingt seinen Tod klären, um sicher sein zu können, dass es seinen Platz im Himmel fand. Nun, die Äbtissin des Klosters verbot ihr die Reise. Doch als Ida sich nicht abhalten ließ, schmuggelte man ihr einen goldenen Kelch in ihre Kammer, beschuldigte sie daraufhin des Diebstahls. Ein Gericht tagte. Ida wurde für schuldig befunden, und zur Strafe wurde ihr die Zunge herausgerissen.»
«Diese Strafe ist bei Diebstahl nicht üblich», warf Sibylla ein. «Man hackt den Dieben die Hände ab, nicht die Zunge.»
«In diesem Falle war es anders. Man wollte ja verhindern, dass Ida erzählen konnte, was in Engelthal vorgefallen war. Deswegen die Zunge.
Ida verließ das Kloster, sobald sie konnte, und kam nach Frankfurt. Dort traf ich sie dann und holte sie nach Hause in die Schäfergasse.»
«Woher weißt du, was ihr widerfahren ist?», fragte Sibylla noch immer ängstlich. Konnte es vielleicht sein, dass es Sibylla Wöhler war, die im Kindbett gestorben war? Was wusste Isaak?
«Ida hat es mir aufgeschrieben.»
«Hat sie den Namen des Mädchens genannt?», fragte Sibylla. Ihr Herz schlug jetzt so stark, dass sie befürchtete, Isaak könnte es sehen. Und er bemerkte es. Er blieb stehen, zog Sibylla zu sich heran und legte ihr eine Hand auf das wild klopfende Herz.
«Warum erregst du dich so?», fragte er und sah ihr in die Augen.
«Ich weiß nicht», stammelte Sibylla.
«Warst du nicht auch in Engelthal?», sagte Isaak leise. «Du musst also wissen, was dort geschehen ist.»
«Ich … ich war nicht lange dort, war sicher schon zurück in Frankfurt, als das geschehen ist», stotterte Sibylla und wich seinem Blick aus. «Ich weiß nichts von einer schwangeren Klosterschülerin, weiß nichts von ihrem Tod. Es ist lange her. Warum fragst du jetzt danach?»
Isaak antwortete nicht. Noch immer sah er sie an. Schließlich nahm er ihre Hand und zog sie weiter. Nach einer Weile erst sagte er einen Satz, der Sibylla zu Tode erschreckte.
«Ida kennt dich. Das merke ich an ihrem Verhalten, obwohl sie niemals ein Wort darüber verloren hat. Und sie mag dich», sagte Isaak. Er blieb stehen und nahm ihr Gesicht in seine Hände.
«Ich liebe dich, Sibylla. Es ist mir egal, wer du früher gewesen bist. Ich liebe dich jetzt und werde dich immer lieben. Du brauchst keine Angst zu haben. Nichts wird meine Liebe zu dir schmälern können. Nichts, hörst du, gar nichts. Ich liebe die, die du heute bist, liebe deinen Leib, deinen Geist und deine Seele.»
Isaak atmete tief durch, dann sagte er leise und mit fast verschwörerischer Stimme:
«Lass uns in Florenz bleiben, Sibylla. Für immer. Ich bin bereit, Isabell und Adam zu verlassen, um für immer mit dir leben zu können. Lass uns hier bleiben. Ich habe auch hier einen guten Ruf als Arzt. Wir könnten uns ein Haus in Lucias Nähe kaufen. Vielleicht kannst du sogar mit ihr zusammenarbeiten. Bitte, Sibylla. Nur in Florenz können wir zusammenleben. Sag ja, Sybilla. Lass uns zusammen ganz neu anfangen und ein Leben führen, in dem die Liebe die Essenz ist.»
Sibylla erstarrte. Ihre Seele schrie auf vor Verlangen. Sie wollte mit Isaak in Florenz bleiben, mit ihm ein neues Leben beginnen. Doch ihr Verstand widersprach, gewann nach kurzem Kampf die Oberhand und führte Sibyllas Antwort.
«Es geht nicht, Isaak. Ich kann mein Geschäft nicht im Stich lassen. Jahre habe ich gebraucht, um es hochzubringen. Jetzt gehöre ich zu den angesehensten Handwerkerinnen Frankfurts. Hier in Florenz hat sich mein größter Wunsch erfüllt. Jakob Fugger hat mir einen Auftrag erteilt. Nein, Isaak, ich kann nicht hierbleiben. So gern ich es möchte. Das Geschäft braucht mich. Versteh doch, der Auftrag Fuggers.»
Bei diesen Worten zerriss etwas in ihr. Doch sie war an Frankfurt wie mit eisernen Ketten gefesselt. Das Geschäft, ihre Vergangenheit. Sie musste zurück, musste zu Ende bringen, was sie vor Jahren als falsche Sibylla begonnen hatte. Erklären konnte sie es nicht, da sie es selbst nicht verstand. Hier, in Florenz, war sie zum ersten Mal in
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