Die Pelzhändlerin (1. Teil)
selbst finden zu müssen. Weiß Gott, wovon sie sprach! Martha verstand sie nicht.
«Du wirst dich verhalten wie alle anderen auch, und wenn ich es dir einprügeln muss», brachte sie hervor.
«Ich kann nicht», wiederholte Sibylla, und ihre Augen verdunkelten sich.
Martha spürte die Wut wie eine lodernde Flamme in sich emporsteigen. Sie hatte sich nicht verändert! War genauso so eigensinnig und hochmütig geblieben, wie sie es immer gewesen war. Umsonst. Ganz und gar umsonst hatte Martha ein Verbrechen begangen, um ihre Tochter vor dem Leben einer Wäscherin zu retten. Doch das Kind war nicht zu retten. Alles, was sie gewagt hatte, war vergebens gewesen!
Martha griff nach einem nassen Waschestück und begann damit auf Sibylla einzuschlagen, wollte ihr den Eigensinn, den Trotz und Hochmut, die sie nicht verstand, nie verstanden hatte, aus dem Leib prügeln. Das nasse Tuch klatschte auf Sibyllas Wangen, auf ihre Brust. Sie hob die Arme, um Kopf und Gesicht zu schützen. «Hör auf!», flehte sie, doch Martha hörte nicht.
«Deinen Platz werde ich dir einprügeln», keuchte sie. «Schlagen werde ich dich, bis du weißt, wie eine Meisterin von innen aussieht.» Und Martha holte aus, immer wieder, bis ihr die Arme erlahmten und sie erschöpft von Sibylla abließ. Sie sah die Tränen, die der Tochter über die Wangen rannen. Es war ihr nicht gelungen, den rechten Platz in sie hineinzuprügeln. Martha ließ sich auf einen Stein am Ufer fallen, verbarg das Gesicht in den Händen und weinte. Lange saß sie dort und schien nicht zu bemerken, dass Sibylla nun die ganze Wäsche allein wusch, auswrang, in den großen Korb legte und schließlich, als alles fertig war, hilflos neben Martha stand, sich endlich umdrehte und ohne ein einziges Wort zurück in die Kürschnerei ging.
Der Zobelmantel war fertig. Seit gestern Abend hing er in der Werkstatt und wartete nur noch darauf, gründlich ausgebürstet zu werden, dann konnte er der Zunft gemeinsam mit den anderen Stücken vorgelegt werden.
Seit Monaten hatte Jochen mit dem Altgesellen Heinrich, der sich schließlich wieder beruhigt hatte, und dem neu hinzugekommenen Gesellen Jakob an den Stücken gearbeitet.
Doch das Ergebnis enttäuschte Sibylla maßlos. Die fünf Stücke, besonders aber der Zobel, sahen aus wie alle anderen in der Stadt. Nein, ein Zobel, der neu und ganz anders war, der so war, dass sich alle nach seinem Träger umdrehen würden, war es nicht geworden. Ein Mantel war entstanden, so beliebig und austauschbar wie ein einfaches Ziegenfell.
«Warum hast du den Mantel nicht nach meiner Zeichnung gemacht?», fragte Sibylla ihren Mann.
«Sibylla, kein Kürschner in ganz Frankfurt hat je einen solchen oder ähnlichen Mantel hergestellt. Der Schnitt, den ich verwendet habe, ist bewährt. Die meisten Ratsherren tragen Pelze dieser Machart.»
«Den schönsten Zobel, den es je in der Stadt gab, wolltest du machen. Etwas Neues wolltest du schaffen, etwas, das es vorher nicht gab. Ein Stück, das Aufsehen erregt und deinen Namen bekannt macht», klagte Sibylla. «Und was ist daraus geworden?»
Jochen schüttelte den Kopf. «Nicht ich wollte etwas ganz Besonderes herstellen. Du, Sibylla, warst es, die darauf gedrungen hat. Gute Handwerksarbeit wollte ich leisten, denn das ist es, was einen guten Meister auszeichnet.»
«Ja! Ja, ja, ja!», schrie Sibylla. «So denkst du, genau so! Nichts wagen, immer nur das machen, was alle machen! Mitschwimmen im Strom und zusehen, dass man allen gefährlichen Strudeln ausweicht. Mein Gott, Jochen, auf die Art wirst du ewig der bleiben, der du bist!»
Jochen verstand nicht. «Warum sollte ich jemand anders werden wollen?», fragte er verwundert. «Ich bin zufrieden mit dem, der ich bin, und mit dem, was ich habe. Warum soll ich mehr wollen?»
Weil ich mehr will, dachte sie. Ich muss es schaffen, Sibylla hinter mir zu lassen, muss mehr werden als eine normale Meistersfrau, wie sie es wohl geworden wäre. Wenn ich schon nicht sein kann wie sie, dann muss ich eben weiter gehen als sie. Muss an einen Punkt kommen, an den sie mir nicht folgen kann, muss sie überwinden, sie aus meinen Träumen verscheuchen.
Doch Jochen verstand das einfach nicht. Wie sollte er auch? Er hatte schließlich kein dunkles Geheimnis, das ihn nachts wach hielt und vor jeder Krähe erschrecken ließ. Er war der, der er war.
Sibylla war verzweifelt. Wie konnte sie ihm nur begreiflich machen, was sie wollte? «Ich möchte weiterkommen», sagte sie
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