Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Doch der Geselle Thomas hatte es gesehen. Er hatte es ans Licht gebracht. Und dafür würde er büßen. Nicht jetzt. Doch irgendwann würde sich einmal die Gelegenheit ergeben, dessen war sich Sibylla ganz sicher.
Sie hatte die Gerberei seither gemieden und gehofft, dass die Gesellen und Sachs den kleinen Zwischenfall schnell vergessen würden. Ja, sie hatte Jochen sogar gebeten, in Zukunft eine andere Gerberei zu beauftragen. Doch Jochen war mit der Arbeit zufrieden, und da sich Sibylla weigerte, den wahren Grund für einen Wechsel zu benennen, war alles geblieben, wie es war.
Jetzt war ihr mulmig, als sie das Sachs-Haus erblickte. Die Schmach brannte noch immer in ihr wie eine Wunde, die einfach nicht verheilen wollte.
Sie hatte die Werkstatt gerade betreten, als sie plötzlich Lärm hörte, der aus dem Hof der Gerberei kam. Ein schmaler Mann mit verkniffenem Mund, den Sibylla schon in der Zunftstube gesehen hatte, stürmte mit einem Bündel unter dem Arm in die Werkstatt.
«Lump, verfluchter! Drecksgerber!», schrie der Dürre.
«Was schreit Ihr, Meister Hinz? Seid Ihr irre geworden?», fragte Sachs und warf Sibylla einen besorgten Blick zu.
Sie sah sich unruhig um, denn sie wollte dem Gesellen Thomas möglichst nicht unter die Augen kommen. Die Ablenkung durch den wütenden Kunden kam ihr da gerade recht. Thomas aber war nirgends zu sehen, und Sibylla beruhigte sich rasch wieder. Gesellen waren von Natur aus ein neugieriges und geschwätziges Pack. Wäre er hier, so stünde er sicher schon in nächster Nähe und würde die Ohren spitzen. Wahrscheinlich aber war er unten am Fluss und verrichtete dort seine Arbeit.
«Hier! Da! Seht Euch das an! Ist das saubere Arbeit, frage ich? Ist das ehrliches Handwerk?», schrie Meister Hinz.
Vor Empörung am ganzen Körper zitternd, zerrte er das Bündel auseinander und pochte mit knochigem Zeigefinger auf eine Partie Fell.
«Verfilzt! Vollkommen verfilzt ist das Fell. Gutes Schaf, beste Ware. Für teures Geld gekauft und dann zu Euch Halsabschneider gebracht. Und Ihr verderbt es. Anzeigen werde ich Euch! Anzeigen und Euch lehren, wie man mit guter Ware umgeht!»
Sachs nahm das Fell, hielt es gegen das Licht und fuhr mit dem Finger darüber. Er seufzte.
«Ihr habt Recht, Meister Hinz. Das Fell ist verdorben. Vielleicht kann man es reparieren?»
«Ha! Reparieren! Das könnte Euch so passen! Mein Geld will ich zurück und einen Gulden als Ablass dazu. Reparieren! Flickwerk! Hat man so was schon gehört! Verdirbt die Ware und klopft noch schlaue Sprüche! Was meint Ihr, wen Ihr vor Euch habt, hä? Ha! Der Zunft werde ich’s melden. Reparieren wird sie Euch vor der Lade, jawoll.»
Sachs nahm den Wütenden am Arm und führte ihn zu einem Schemel. «Setzt Euch, Meister Hinz, trinkt einen Becher Apfelwein auf den Schreck.»
Er gab dem Lehrbuben ein Zeichen, dass er in der Küche das Gewünschte holen sollte.
Meister Sachs, um seinen Ruf besorgt, strich ein um das andere Mal über das verdorbene Fell, als traue er seinen Augen nicht.
«Hinz, Ihr habt schon Recht, wenn Ihr Euch beschwert, doch den Gulden Ablass zahle ich nicht. Ihr selbst wart es, der befohlen hat, das Fell vom Lehrbuben gerben zu lassen, damit es Euch billiger kommt. Ich hatte Euch gewarnt. Gott und die Gesellen sind meine Zeugen.»
Hinz trank den Apfelwein in einem Zug und sah misstrauisch zu den Gesellen, die zu den Worten ihres Meisters nickten.
«Dann schick ihn her, den Lehrbuben, damit ich ihm das Fell gerben kann», brüllte er wieder, aber schon bedeutend zahmer als bei Sibyllas Ankunft.
«Wenn hier einer dem Lehrjungen den Knüppel gibt, dann bin ich es. Seid versichert, er kriegt seinen Teil. Euch gebe ich den Gerblohn zurück. Wenn Ihr aber vor der Zunft den Betrogenen spielt, so werde ich erzählen, dass Ihr den Kunden zu hohe Gerbkosten berechnet. Was meint Ihr, wer den größeren Ärger bekommt?»
Sachs machte seine Geldkatze auf und zahlte dem Kürschner den Lohn zurück.
Der murmelte noch einmal etwas vom ehrlichen Handwerk, dann wollte er sein Bündel nehmen und verschwinden, doch Sachs hielt ihn zurück.
«Die Felle lasst hier, Hinz. Ich habe sie zurückgekauft.»
«Könnt sie doch nicht mehr verwenden, Sachs, verpfuscht, wie sie sind.»
«Und wenn ich sie der Katze zum Spielen gebe, die Felle bleiben hier!»
Hinz grummelte noch etwas, dann feuerte er das Bündel in eine Ecke und verschwand leise schimpfend.
Sibylla hatte der Auseinandersetzung mit Belustigung zugesehen.
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