Die Pelzhändlerin (1. Teil)
mich», erwiderte Sibylla. «Aber größer noch wäre meine Freude, wenn ich nach der Geburt wieder in der Werkstatt sein dürfte. Meine Hände wollen Felle spüren und die Nadel. Bitte, Jochen, lass mich bald wieder in die Werkstatt. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass es dem Kind an nichts mangeln wird.»
Jochen blickte seine Frau nachdenklich an. Ihre großen graugrünen Augen leuchteten vor Eifer. Die Brüste, durch die Schwangerschaft voller geworden, bebten unter ihrem Mieder. Der gewölbte Bauch und die Hand, die Sibylla schützend darauf gelegt hatte, ließen sie wie eine Madonna erscheinen.
Konnte man einer Madonna einen Wunsch abschlagen? Nein, Jochen konnte es nicht. Er seufzte, dann sagte er: «Ich werde mit Martha sprechen. Sie soll täglich kommen und dir zur Hand gehen, aber ich möchte nicht, dass sie unser Kind aufzieht. Das, Sibylla, ist deine Aufgabe.»
Sibylla strahlte und ging auf Jochen zu. Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und strich ihm zärtlich über die Wangen. «Danke, du Lieber», sagte sie leise. «Danke, dass du mich verstehst und mir hilfst.»
Doch Jochen schüttelte den Kopf. «Nein, Sibylla, ich verstehe dich nicht. Du bist anders als alle Frauen, die ich kenne. Aber ich bin dein Mann und möchte, dass du zufrieden bist.»
Sibylla sah in den Augen ihres Mannes zum ersten Mal eine leise Traurigkeit. Sie stutzte.
«Was hast du?», fragte sie verwundert.
«Ich wollte mein Leben mit dir teilen», sagte Jochen Theiler, und die Trauer färbte seine Stimme dunkel. «Aber du entziehst dich mir. Es gibt etwas in deinem Wesen, das nichts mit mir zu tun hat. Du wirst wohl niemals ganz und gar, mit Haut und Haaren mein Weib werden.»
Betroffen blickte Sibylla zu Boden. Jochen hatte Recht, sie wusste es. Es war das Geheimnis ihrer Herkunft und ihres Betruges, das zwischen ihnen stand und verhinderte, dass sie sich einander bis zum Letzten offenbaren konnten. Sie hatte gehofft, dass mit der Schwangerschaft die Träume verschwinden würden. Doch so war es nicht. Noch immer erschien ihr die wahre Sibylla, die sie in Gedanken immer nur «Die Andere» nannte, und erinnerte sie an alles, was sie am liebsten vergessen würde. Die andere war es auch, die verhinderte, dass sie Jochens Liebe erwidern konnte. Sie stand zwischen ihnen. Nur wenn Sibylla nachts ihr Fellkleid trug, war sie ihm nahe.
«Es tut mir Leid, Jochen», murmelte sie. «Ich wünsche oft, ich wäre anders.»
Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, doch Jochen wich ihrer Berührung aus und verließ die Werkstatt.
Der Frühling hielt Einzug in Frankfurt. Der Main, seit Wochen zugefroren, taute, und die Schifffahrt konnte wieder aufgenommen werden. Der Schnee, der in schwärzlichen Haufen an den Straßenecken gelegen hatte, schmolz in der ersten zaghaften Frühjahrssonne und gab allen Schmutz und Unrat frei, der unter einer Eisschicht gelegen hatte. Es stank zum Himmel, doch dieser Geruch gehörte zum Frühling wie das erste zaghafte Grün an Bäumen und Büschen. Überall waren Grabenfeger und «Goldgräber», wie man die Abortkehrer nannte, unterwegs, um die Stadt messfein zu machen. Die Leichen wurden von den Galgen abgenommen, die Bettler und Aussätzigen vor die Stadttore geschickt, und die ersten Wagen mit den plappernden und kichernden fahrenden Huren, die für die beiden Messewochen von weit her kamen, rumpelten durch die Gassen hinunter zu den Frauenhäusern am Main.
Vor den Römerhallen wurden die Wagen der Fugger und Welser aus Augsburg entladen und jeder einzelne Tuchballen in ein dickes Kontorbuch eingetragen. Aus den Hansestädten kamen ganze Kolonnen mit Pelzwaren aus Russland, Glas aus Böhmen und Gewürzen aus Übersee.
Am Mainkai lagen Frachtschiffe, die Wein aus dem Elsass und Brüsseler Spitze an Bord hatten.
In den Gassen putzten die Handwerker ihre hölzernen Läden und bereiteten die Auslagen vor.
«Wir sollten uns einen kleinen Stand in der Krämergasse mieten», schlug Sibylla ihrem Mann vor. «Die Krämergasse liegt nahe bei den Römerhallen. Dorthin kommen die Messfremden. In die Trierische Gasse verirrt sich nur, wer genau weiß, dass hier die Kürschner sind. Die Laufkundschaft aber findet sich um den Römer herum.»
«Wir sind Handwerker, keine Krämer», erwiderte Jochen, doch Sibylla schüttelte heftig den Kopf.
«Du irrst dich. Wir sind natürlich auch Krämer, selbst wenn dir dieser Begriff nicht gefällt. Auch wir müssen unsere Waren verkaufen, müssen Handel treiben.»
«An
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