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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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ungeheuer hoch, kleine Mengen rentierten sich einfach nicht. Je mehr Gerbware, umso niedriger die Kosten.
    «Am besten wäre es, wir kauften eine eigene Gerberei und ließen uns von den anderen Kürschnern bezahlen», murmelte Sibylla vor sich hin und lächelte. Eine Gerberei kaufen, das wäre es. Ja! Aber wovon sollen wir sie bezahlen? Die Zünfte werden sich dagegen wehren, besonders die Gerber, die jede freie Werkstatt in den eigenen Reihen behalten wollen. Und auch die Kürschner würden Einspruch erheben. Natürlich hatten sie keine Lust, die Gerbkosten an einen eigenen Zunftbruder zu bezahlen, der damit mächtiger als alle anderen wäre. Außer Ebel. Ebel, der ein gutes Geschäft meilenweit riechen konnte. Hätte Ebel einen Vorteil von der Theilerschen Gerberei, würde er nicht nein sagen, da war sich Sibylla sicher. Nein, dachte Sibylla, dieser Gedanke ist Zukunftsmusik, doch ich werde ihn nicht vergessen.
    Jemand stieß an ihren Stand, die Pelztierchen fielen in den Straßendreck, und Sibylla schrak aus ihren Gedanken. Ausgerechnet in diesem Augenblick war die Frau des Zunftmeisters aufgetaucht.
    Mühsam bückte sich Sibylla und hob die Tierchen auf. Die Ebelin trat näher und grabschte nach dem Pelzspielzeug und bohrte ihre spitzen Finger tief hinein. Mit einem hämischen Grinsen sah sie sich um und rief dann so laut, dass es alle Umstehenden gut hören konnten: «Iiiiih, wie widerlich! Hat man so etwas Ekelhaftes schon gesehen?»
    Sofort blieben die Messegäste und Einheimischen stehen, um zu hören, was geschehen war. Eine dicke Menschentraube bildete sich um Sibyllas Stand und glotzte auf die Auslage.
    «Schaut doch!», rief die Zunftmeisterin mit schriller Stimme. «Tiere aus Pelz! Die sehen ja aus wie tote Ratten.»
    Die Menge johlte und drängte sich noch dichter um den Stand. Sibylla fing an, um ihre Ware zu bangen.
    «Haben wir nicht genug Ratten in der Stadt?», fragte die Zunftmeisterin in die Runde, angefeuert durch die Reaktion der anderen. «Sollen die Kinder, die noch keine Unterschiede kennen, durch das eklige Pelzviehzeug dazu verführt werden, mit den Ratten in den Gassen zu spielen? Will diese Kürschnerin etwa, dass unsere Kinder Ratten ins Haus schleppen und gar noch mit ihnen schlafen gehen?»
    Die Umstehenden grölten.
    «Es ist doch nur Spielzeug. Kinder brauchen etwas Warmes und Anschmiegsames zum Spielen», entgegnete Sibylla lahm. Die Menge vor ihr erschien ihr dunkel und bedrohlich. Sie hatte Angst, wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte.
    «Wenn Ihr Ratten so warm und anschmiegsam findet, Theilerin, warum habt Ihr Euch dann einen Krüppel ins Bett geholt?», schnappte die Zunftmeisterin, und wieder johlte die Menge, von denen nur die wenigsten Jochen Theiler und seine Behinderung kannten.
    Sibylla spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Am liebsten hätte sie der Zunftmeisterin das hämische Grinsen aus dem Gesicht geschlagen, doch die Menge war bereits gegen sie aufgebracht. Und ein Scharmützel mit der Zunftmeisterin konnte sich die Kürschnerei Theiler bei Gott nicht leisten. Also biss sich Sibylla die Unterlippe blutig und schwieg. Doch die Zunftmeisterin wollte noch mehr. Angestachelt und aufgeheizt, wollte sie ihren kleinen Triumph weiter auskosten. Sie reckte kampflustig den Busen nach vorn und keifte lauthals: «Es ist eine Schande für die ganze Frankfurter Kürschnerzunft, dass wir eine Rattenhändlerin in unseren Reihen haben.»
    Wieder johlte die Menge und gab der bösartigen Frau Recht. Sibylla starrte blind auf ihre Auslage und wäre am liebsten vor Scham und Wut unter dem dreckigen Rinnstein verschwunden.
    Die Menschenmasse kam immer näher, drückte mit einer gewaltigen Kraft gegen Sibyllas Tisch, der mit seinen scharfen Kanten in ihren Leib schnitt, dass sie meinte, das Kind in ihr vor Schmerzen aufschreien zu hören. Ein ziehender Schmerz überfiel sie, der ihr die Luft nahm und den Schweiß auf die Stirn trieb.
    «Mein Kind», wimmerte sie. «Ihr drückt mir das Kind tot.»
    Plötzlich teilte sich die Menge und gewährte einem Mann Durchlass, den Sibylla noch nie zuvor gesehen hatte. Der Druck gegen den Tisch ließ nach, der ziehende Schmerz ebbte ab und machte einer plötzlichen Schwäche Platz. Sie wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, atmete langsam und tief durch und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand hinter ihr.
    Am ehrfürchtigen Schweigen der Umstehenden und an der reichen Kleidung erkannte sie, dass ihr

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