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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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verbrennt, wird kommen, und Ihr werdet Eure Zungen vor Schmerzen zerbeißen, Blitze werden Eure Augen verdunkeln. Die Kaufleute werden weinen, und ihre Waren werden verdorren. Das Obst wird auf den Bäumen faulen, das Brot wird schimmeln und Ihr werdet Euch auf dem Boden wälzen im eigenen Blut und die Ohren taub von den eigenen Schmerzensschreien.»
    Sibylla wurde kalt, als sie das hörte. Ja, sie wusste, dass das Ende der Welt nahen sollte. Auf den vielen Flugblättern, die täglich in der Stadt verteilt wurden, wurde es genau beschrieben. Frankfurt würde untergehen wie die Hure Babylon. Und schuld daran wären die Kaufleute und Händler, denen Gold und Purpur wichtiger waren als Gottes Liebe, die sich in Samt und Pelze kleideten und den heiligen Kelch aus den Händen der Priester rissen, um Münzen daraus zu prägen.
    Schuld daran war auch sie, die Kürschnermeisterin Sibylla Theiler aus der Trierischen Gasse.
    Furcht kroch in ihr hoch. Sibylla wollte weg, wollte fliehen. Fliehen vor der Angst, vor dem nahenden Weltgericht, vielleicht auch vor Gott. Doch sie war eingekeilt in der Menge, die wie ein schwer atmendes, schwitzendes Tier im Bann der Flagellanten gefangen war.
    Sibylla bekam Panik. Wie lange würde sie noch in der Menge ausharren können, ohne selbst zu schreien? Seit dem Erlebnis auf der Fastenmesse vor zweieinhalb Jahren hatte sie Angst vor Menschenansammlungen. Atemnot überfiel sie, ihr Herz raste, und der Schweiß brach ihr aus. Sibylla merkte, wie ihre Knie zu zittern begannen. Hilfe suchend sah sie sich um, ahnte bereits den Nebel, der sich bald über sie legen würde.
    Doch plötzlich fühlte sie eine Hand an ihrem Ellbogen. Sie drehte sich um. Eine junge Frau mit dunklen Haaren, fast schwarzen Augen und olivfarbener Haut stand mit einladenden Armen vor ihr.
    «Kommt, ich bringe Euch hier raus. Haltet Euch an mir fest», sagte die Fremde ruhig und bahnte sich mit lauter, energischer Stimme einen Weg durch die Menge.
    Sie führte Sibylla weg von den Menschen zu einem winzigen Stand am unteren Römer, in der Nähe des Mains.
    «Geht es wieder?», fragte die junge Frau mit einem Akzent, der verriet, dass sie nicht aus deutschen Landen kam. Sie drückte Sibylla auf eine Bank und sah sie besorgt an.
    Sibylla atmete auf. «Ich danke Euch», sagte sie.
    «Ihr seid ganz blass», antwortete die Fremde. «Ich hole Euch einen Becher Wein.»
    Noch immer benommen, starrte Sibylla zum Römerberg hinauf. Die Menschen standen dicht an dicht, und Sibylla meinte, ihre Angst bis hierher riechen zu können. Sie bemerkte nicht, dass sich ein altes Weib mit einem bunten Tuch auf dem Kopf neben sie setzte. Ein steinerner Ring schmückte die knochige Hand, die sie Sibylla jetzt aufs Knie legte.
    «Reicht mir Eure Hand», sagte die Alte, und Sibylla gehorchte, obwohl sie Wahrsagerinnen bisher stets gemieden hatte. Was wusste die, was sie nicht selbst wusste?
    Lange hatte sie gehofft, dass die nächtlichen Träume von der Anderen nach der Totgeburt aufhören würden.
    Eine Zeit lang hatte sie sogar geglaubt, dass das tote Kind die Strafe Gottes für ihren Betrug sei, die Schuld damit gesühnt und die nächtlichen Albträume von nun an der Vergangenheit angehören würden.
    Doch eines Nachts war sie wieder da gewesen, die Andere. Hatte sich eingeschlichen, genau in der Nacht, als Jochen ihr bedeutet hatte, dass er es gern hätte, wenn sie wieder einmal das Fellkleid anziehen würde. Monate waren vergangen, seit er sie das letzte Mal darum gebeten hatte.
    Nach der Geburt des toten Kindes hatte sich ihr nächtliches Beisammensein verändert. Jochens Zärtlichkeiten waren roher geworden, die Nähe war geschwunden, und Sibylla hatte sich gefühlt, als sei sie eine Frau im Badehaus, die bezahlt wurde. Sie ahnte, dass Jochen sie mit seiner Kälte bestrafen wollte. Er glaubte noch immer, dass der Tod des Kindes ihre Schuld gewesen sei. Hatte er vielleicht sogar Recht, wenn er ihr vorwarf, sie wäre nicht unglücklich, weil sie dieses Kind im Geheimen gar nicht gewollt hatte?
    Sie hatte sich ihm ausgeliefert gefühlt, wehrlos seinen Anschuldigungen und seiner verächtlichen Kälte gegenüber. Schutzlos war sie sich vorgekommen, nackter als nackt – und sie hatte gefroren, wann immer Jochen sie berührte.
    Und dann schien Jochens Wut verraucht zu sein. Er hatte sich zurückgezogen, sie in Ruhe gelassen. Das Fellkleid war in der Truhe geblieben.
    Bis zu jener Nacht: Als sie zu Bett gingen, hatte Jochen sie gebeten, das Fellkleid

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