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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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anzuziehen. Zum ersten Mal seit dem Tod des Kindes hatte er sie liebevoll durch das Fell gestreichelt. Und dann, gerade als Sibylla begann, sich zu entspannen, Jochens Zärtlichkeiten zu genießen, war sie ihr erschienen, die Andere, und hatte sie mit vorwurfsvollen Augen angeblickt. Sibylla war kalt geworden, so kalt wir noch niemals zuvor.
    Auch jetzt fror sie entsetzlich, entsetzlich kalt war ihr, sodass sie zitterte, obwohl die Sonne schien. Die Wahrsagerin schien es nicht zu bemerken. Sie fuhr mit einem Finger die Linien in Sibyllas Hand nach, dann sagte sie leise: «Ich sehe zwei Leben in Eurer Hand. Ein altes, das die Linie des neuen Lebens immer wieder kreuzt. Und das neue Leben, das Euch bald vor eine Entscheidung stellt.»
    «Was für eine Entscheidung?», fragte Sibylla.
    «Die Entscheidung zwischen Liebe und Erfolg.»
    Sibylla lachte bitter. «Die Liebe ist nicht meine Sache», erwiderte sie und hielt nach ihrer Retterin Ausschau.
    Die Wahrsagerin wiegte zweifelnd den Kopf. «Die Liebe ist das Wichtigste im Leben. Wenn Ihr sie verschmäht, so weist ihr das Leben zurück. Ohne sie werdet Ihr niemals heil werden. Sie allein ist es, die Euch helfen kann.»
    Verblüfft sah Sibylla die Wahrsagerin an. Doch diese stand schnell auf und war nach wenigen Schritten in der Menschenmenge verschwunden.
    Sibylla schüttelte den Kopf. Ich bin überreizt, dachte sie, bin noch ganz benommen von den Flagellanten und ihrem Weltuntergangsgeschrei.
    In diesem Moment kam die Fremde zurück und reichte Sibylla einen Becher Wein.
    Als sie sich gestärkt hatte, fragte sie die Frau: «Wer seid Ihr, und woher kommt Ihr?»
    Die Fremde nahm einen Schluck, antwortete dann: «Lucia heiße ich und komme aus Florenz.»
    «Aus Florenz in Italien? Was macht Ihr hier? Wo ist Euer Begleiter?»
    Lucia lachte. «Ja, aus Florenz in Italien. Ich bin hier, um Geschäfte zu machen. Zur Herbstmesse kam ich mit einer Kolonne und werde nach der nächsten Fastenmesse mit den florentinischen Kaufleuten zurückreisen. Mein Bruder begleitet mich. Er ist Arzt und nach Frankfurt gekommen, um bei seinem berühmten Kollegen Isaak Kopper die Anatomie des Menschen zu studieren.»
    Sibylla sah die Italienerin verwundert an.
    «Isaak Kopper? Ich kenne ihn. Er hat mir das Leben gerettet.»
    Die Florentinerin nickte. «Ich weiß. Eine aufgestachelte Menschenmenge hat Euch das Kind im Leib umgebracht. Und Isaak hat bis heute nicht verstanden, warum ihr die Anführerin nicht zur Anzeige gebracht habt.»
    Sibylla schwieg. Plötzlich wusste sie, dass dieser Tag ihr Leben verändern würde. So, als hätte sie die zurückliegenden zweieinhalb Jahre nach der Totgeburt ihres Sohnes gebraucht, um sich auf die heutigen Erlebnisse vorzubereiten. Um endlich wieder ins Leben zurückzukehren. Ihr Herz begann zu klopfen. Sie legte eine Hand auf den Arm der Fremden und sagte: «Ich heiße Sibylla Theiler, Frau des Kürschnermeisters Theiler, und freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen.»
    Lucia lächelte. «Ich weiß», sagte sie kurz. «Ich habe Euch in der Kirche gesehen und auch gehört, dass Euer Gemahl der beste Kürschner in der Stadt ist.»
    Sibylla seufzte. «Ja, Ihr habt Recht gehört. Das Handwerk beherrscht wohl niemand besser als er.»
    «Warum sagt Ihr das ohne Stolz?»
    Sibylla blickte die Fremde an, betrachtete einen Moment das ausgefallene Kleid, das sie trug, den vornehmen Schmuck, die kunstvolle Frisur. Ihre ganze Erscheinung war von außergewöhnlichem Geschmack und großer Eleganz.
    «Doch, stolz bin ich schon», erwiderte Sibylla, denn irgendetwas verbot es ihr, sich einer Fremden anzuvertrauen und ihr zu erzählen, dass es gerade der außergewöhnliche Geschmack und die Vornehmheit waren, die den Waren aus dem Haus Theiler fehlten. Stattdessen fragte sie:
    «Was für Geschäfte sind es, die Euch nach Frankfurt führen?»
    «Ich helfe den Kaufleuten, Adligen und Patriziern bei der Ausgestaltung ihrer Wohnräume. Ich stelle die Farben für die einzelnen Räume zusammen, empfehle Stoff und Machart der Vorhänge und Teppiche, suche die passenden Möbel, Kissen, Decken, Leuchter, Geschirr und all die anderen Dinge aus, die dazu dienen, den Räumen eine gewisse Stimmung zu verleihen, sie behaglich und zugleich einzigartig zu machen.»
    Sibylla staunte. Sie hatte nicht gewusst, dass es solch einen Beruf gab, hatte noch nie davon gehört.
    «Ihr müsst sehr glücklich sein bei dem, was Ihr tut», sagte sie mit leisem Neid.
    «Ja, das bin ich», stimmte Lucia zu und

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