Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Augenblick schien ihr die Daseinsform als Isaaks Frau ein Geschenk des Himmels zu sein. Eines, das sie nicht erwartet hatte, das ihr in den Schoß fiel. Aber war ihr das Dasein einer Kürschnermeisterin nicht auch in den Schoß gefallen?
Was war ihr Leben? Sie war Wäscherin gewesen, führte nun das Leben einer Kürschnerin und konnte, wenn sie nur wollte, Arztgattin werden. Gab es den einen ganz und gar persönlichen Weg? Oder hatte man immer die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten? Nein. Sibylla schüttelte den Kopf. Die wahre Sibylla, die Tote, hatte nur diesen einen Weg gehabt.
Nur das Leben als Kürschnerin hatte sie mit der toten Sibylla gemein. Durch den Rollentausch hatte sie alle Möglichkeiten auf ein anderes Leben, einen anderen Weg verwirkt. Der Betrug fesselte sie an die Kürschnerei. Nur in diesem Leben würde sie die Schatten, die sie bedrohten, eines Tages vielleicht besiegen können.
Sibylla legte ihre Hand auf ihre Brust, spürte ihr Herz laut und heftig schlagen. Nein, ihr Herz war nicht mit Sibylla gestorben, wie sie lange geglaubt hatte. Es schlug in ihrer Brust – für Isaak. Und trotzdem …
Sie seufzte tief, stand auf und schlenderte langsam am Flussufer entlang, den Blick immer auf das dunkelgrüne Wasser gerichtet, das sie an Isaaks Augen erinnerte.
Nein, Sibylla konnte Isaak nicht heiraten. Es ging einfach nicht. Als Arztfrau konnte sie die Werkstatt nicht weiterführen. Die Zunftregeln sprachen dagegen. Nur wenn die Werkstatt einen Meister hatte, blieb sie erhalten. Sie war noch nicht einmal Kürschnerin, würde niemals Meisterin werden. Sie war eine Frau, konnte höchstens einen Meister zum Manne nehmen.
Ich werde wieder heiraten, beschloss Sibylla, und das Herz wurde ihr schwer dabei. Ich werde wieder heiraten und weiter arbeiten. Es geht nicht anders, selbst wenn es mir das Herz im Leibe zerreißt. Ich brauche meine Arbeit, weil ich nur aus dieser meine Selbstachtung ziehe.
Was wäre ich ohne meine Arbeit? Eine betrügerische Wäscherin, die es durch Hinterlist zur Arztgattin gebracht hat. Ich könnte niemandem mehr in die Augen sehen, noch nicht einmal mir selbst. Nur arbeitend kann ich mich achten. Achten für das, was ich tue. Nicht für das, was ich bin. Denn was bin ich denn? Eine Betrügerin, Hochstaplerin, unfähig, jemanden glücklich zu machen und so zu lieben, wie er es verdient. Unfähig auch, mich selbst zu lieben und mit mir im Einklang zu sein. Ich bin eine zerrissene Seele, die niemals verwinden wird, was sie vor Jahren getan hat. Jetzt zahle ich den Preis für meinen Betrug: Leben und lieben in seliger Gewöhnlichkeit bleibt mir verwehrt. Mit Recht, denn ich bin nicht rechtschaffen, bin es nie gewesen, habe es immer nur gespielt, in der törichten Hoffnung, dass eines Tages aus dem Spiel Ernst wird. Was immer ich tue, ich werde niemals irgendwo dazugehören. Gehörte nicht zu den Wäscherinnen, gehöre nun nicht zu den Kürschnermeistersfrauen, habe mich selbst durch meine Unredlichkeit ausgeschlossen vom Leben der normalen, einfachen Leute mit ihren alltäglichen Sorgen und Kümmernissen. Ich trage das Kainsmal nicht auf der Stirn, sondern im Herzen. Ein Leben in Einsamkeit, das ist der Preis für den Betrug, und die einzige Hoffnung ist die, dass es mir durch meine Arbeit gelingt, meine Schuld vor Gott und den Menschen, meine Schuld vor der Wöhlertochter und vor Martha und Jochen abzutragen, die ich nicht so lieben konnte, wie sie es verdient hatten.
Teil 3
Kapitel 14
Sibyllas zweite Hochzeit war nicht mehr als ein behördlicher Akt. Sie stand in der Kirche neben Wolfgang Schieren, einem 22 Jahre älteren Mann, den ihr die Zunft bestimmt hatte.
Neben Schieren stand sein achtjähriger Sohn Johannes, der Sibylla misstrauisch betrachtete. Susanne, Schierens elfjährige Tochter, scharrte mit einem Fuß über den Boden und sah aus, als erwarte sie ihr Todesurteil.
Sibylla selbst sah mit geradem Blick nach vorn auf den Priester. Nur das rasche Heben und Senken der Brust verriet, dass sie bewegt war. Doch die Trauuung war es nicht, die ihr Herzklopfen verursachte, sondern die Tatsache, dass sie nicht wusste, ob irgendwo hinter ihr Isaak Kopper in der Kirche stand.
Als der Priester sagte: «Wer etwas gegen diese Heirat vorzubringen hat, möge es jetzt sagen oder für immer schweigen», erstarrte Sibylla. Sie wartete darauf, dass Kopper vortreten und Einspruch gegen die Trauung erheben würde. Ja, sie stellte sich sogar vor, er käme nach vorn, nähme
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