Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Bewunderung und etwas, das sie nicht deuten konnte.
Sibylla lächelte. «Ich weiß», erwiderte sie ohne falsche Bescheidenheit, nun, da sie wusste, dass Kopper nicht im Geringsten schlecht über sie dachte. «Aber du bist sicher nicht gekommen, um dir unsere Waren anzusehen.»
Kopper nickte.
Er beugte sich über den Tisch und fasste nach Sibyllas Hand. «Ich möchte dich bitten, meine Frau zu werden», sagte er. «Heirate mich, Sibylla, verkauf die Kürschnerei und komm zu mir in die Schäfergasse.»
Sibylla erstarrte. Jetzt ahnte sie, was noch in Koppers Blick lag: Liebe.
«Warum?», fragte sie. Die Frage klang ihr in den eigenen Ohren töricht, und doch musste sie eine Antwort haben.
«Weil ich dich liebe», erwiderte Kopper. «Ich möchte dich um mich haben, Tag und Nacht. Ich möchte mit dir Kinder haben und mit dir alt werden.»
Für einen winzigen Moment schloss Sibylla die Augen und gab sich der Vorstellung hin, in der Schäfergasse an Koppers Seite zu leben. Seine Frau zu sein, seine Kinder zu bekommen. Doch schnell fand sie in die Wirklichkeit zurück. Sie konnte nicht seine Frau werden, konnte die Werkstatt nicht aufgeben. Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn und wusste nicht, was sie antworten sollte. Schließlich sagte sie: «Hast du dabei bedacht, dass sich im Fall unserer Heirat nur mein Leben einschneidend ändert, nicht aber deines?» Sibylla wunderte sich über ihren harschen Ton, der auch Kopper nicht verborgen blieb.
«Liebst du mich denn nicht?», fragte er.
«Doch», erwiderte Sibylla und hörte ihre eigenen Worte kaum, denn das Blut rauschte dröhnend in ihren Adern wie ein Bergbach nach der Schneeschmelze. «Ich liebe dich. Aber vielleicht ist die Liebe nicht meine Sache.»
Sie holte tief Luft und sah Isaak in die Augen, ehe sie fortfuhr: «Ich muss darüber nachdenken. Deshalb bitte ich dich, jetzt zu gehen.»
Verwundert stand Isaak Kopper auf. «Ich hatte zwar nicht damit gerechnet, dass du mir um den Hals fällst, doch dass du mich wegschickst, hatte ich noch viel weniger erwartet», sagte er. In seiner Stimme schwang Enttäuschung.
«Isaak», bat Sibylla. «Gib mir ein bisschen Zeit. Ein paar Tage nur. Es ist so viel passiert in den letzten Monaten, dass mir kaum Zeit geblieben ist, darüber nachzudenken, wie ich möchte, dass es weitergehen soll.»
Nachdem Isaak das Haus verlassen hatte, lief sie ruhelos umher. Sie sehnte sich danach, mit jemandem über das zu sprechen, was in ihr vorging. Doch Lucia war weit weg, Christine nicht mehr ihre Freundin, Martha tot. Wenn sie es recht bedachte, so hatte sie keinen einzigen Menschen auf der Welt. Keinen Verwandten, keinen Freund, keinen Vertrauten. Nur Angestellte, die sie beschäftigen und für die sie sorgen musste, und Kunden, die sie zufrieden stellen musste.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass ihr die Wände auf den Leib rückten. Sie nahm ihren Umhang vom Haken und lief hinaus in den lauen Maiabend zum Main hinunter. Dort setzte sie sich auf einen Stein am Ufer und blickte auf den Fluss, der gleichmäßig und ruhig an ihr vorüberzog.
Doch der Main schaffte es nicht, Sibyllas Gedanken zu beruhigen.
Sie dachte an den letzten Abend mit Isaak, fühlte einen Schauer des Begehrens dabei über ihren Rücken laufen und seufzte tief.
Noch nie hatte sie so etwas erlebt. Alles, was zwischen zwei Menschen geschehen kann, war passiert.
Und Sibylla hatte sich verloren. Ihre Grenzen hatten sich aufgelöst, das Denken ausgeschaltet, sie zum Weib gemacht. Zu einem rasenden Weib voller Lust und Begehren, voller Verletzlichkeit und Offenheit, für das sie sich heute, bei Tageslicht, schämte. Dieses rasende Weib war ihr fremd. Sie kannte es nicht, hatte nicht gewusst, dass es tief verborgen in ihr lebte. Es machte ihr Angst, weil sie keine Macht darüber hatte. Wer war das überhaupt? Sie? Sibylla? Ein Teil von ihr, der ihr unbekannt war? Den sie nicht wollte, weil er sie verletzbar machte?
Wieder stellte sie sich vor, an Koppers Seite zu leben, Arztfrau zu sein. Sie sah sich mit Ida in der Küche stehen, mit Isaak beim Essen im Wohnzimmer, des Nachts im Schlafgemach. Die Vorstellung gefiel ihr. Sehr sogar. Ja, und es stimmte: Sie liebte Isaak Kopper. Sie liebte und begehrte ihn wie noch nie zuvor einen Mann. Und zum ersten Mal fühlte sich nicht allein und verlassen, sondern sich jemanden angehörig. Noch nicht einmal bei Jochen war dieses Gefühl so stark gewesen wie jetzt bei Isaak Kopper.
Für einen
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