Die Pelzhändlerin (1. Teil)
sie bei der Hand und führte sie vor aller Augen hinaus aus der Liebfrauenkirche.
Doch alles blieb stumm, und schließlich gab der Priester seinen Segen zu einer Verbindung, von der jeder wusste, dass sie niemals glücklich werden würde.
Auch das Hochzeitsessen selbst war kein freudiges Fest. Schieren, der dem Branntwein gerne zusprach, holte noch vor dem Abendessen den Würfelbecher heraus und scharte ein paar Getreue um sich, die die Luft mit trunkenem Geschrei verpesteten. Johannes, der kleine Sohn, musste die Würfel aufheben, die immer mal wieder vom Tisch kullerten, und Susanne hatte sich in ein undurchdringliches Schweigen gehüllt, das geradezu herausschrie, wie es um sie stand: Was soll ich hier? Ich will hier weg!
Sibylla aber stand auf, sobald es der Anstand gestattete, und ging in ihre Werkstatt. Dort setzte sie sich hinter ihren Kontortisch und schrieb einen Brief nach Florenz:
Liebe Lucia,
heute ist der Tag meiner zweiten Hochzeit. Doch statt zu feiern, sitze ich hier und schreibe an dich. Du fehlst mir so. Weißt du eigentlich, dass ich außer dir keine Freundin habe? Wahrscheinlich hatte ich auch noch nie eine, wenn man unter Freundin eine Frau versteht, die ähnlich denkt und fühlt wie man selbst.
Ich habe den Mann, den ich liebe, weggeschickt und stattdessen einen Mann geheiratet, den ich nicht mag und niemals mögen werde. Vielleicht war das der größte Fehler meines Lebens. Ja, heute fühlt es sich ganz so an. Ich bin bitter deswegen, aber gleichzeitig hoffe ich, dass das Schicksal mich eines Tages für den Verzicht belohnt. Das Schicksal wird es nicht tun, ich weiß es schon, doch die törichte Hoffnung ist alles, was ich noch habe.
Liebe Lucia, wie sehr ich dich um dein Leben beneide und wie sehr ich mich verachte, dass ich es dir nicht gleich tue. Ich kann die Regeln, nach denen alle hier in Frankfurt leben, nicht außer Kraft setzen.
Lucia, liebe Freundin, warum bin ich nicht stärker, mutiger? Warum habe ich nicht die Kraft, gut zu mir selbst zu sein?
Wolfgang Schieren, mein Ehemann, hat zwei Kinder mitgebracht. Weißt du, ich hatte mich sogar ein wenig auf die Kinder gefreut. Vielleicht hatte ich gehofft, sie könnten mir die eigene Kinderlosigkeit versüßen. Doch nun, wo sie da sind, finde ich sie abstoßend. Noch zwei Menschen mehr, für die ich mich verantwortlich fühlen muss, noch zwei mehr, die an mir saugen und von denen ich das nicht zurückbekomme, was ich mir wünsche, zeitlebens gewünscht habe: Achtung und Liebe.
Wenn es etwas gab, woran es der neuen Ehe mangelte, so waren es Achtung und Liebe. Nicht einmal ein wenig Zuneigung verband Sibylla mit den drei Menschen, die nun ihre Familie waren. Hätte Sibylla vorher gewusst, was für ein Mann Wolfgang Schieren, Vetter des Zunftmeisters Wachsmuth, war, hätte sie sich mit Händen und Füßen gegen diese Verbindung gewehrt, die ihr die Zunft bestimmt hatte. Schon einmal hatte sie es geschafft, ihre persönlichen Heiratspläne gegen die der Zunft durchzusetzen. Aber diesmal hat ihr die Kraft zum Kampf gefehlt.
Ja, es hatte Sibylla viel Kraft – beinahe alle, die sie hatte – gekostet, Isaak Koppers Antrag auszuschlagen. Und es verging beinahe kein Tag, an dem sie sich nicht fragte, ob der Preis, den sie für den Erhalt ihrer Werkstätten bezahlt hatte, nicht zu hoch gewesen war. Doch es war zu spät. Aus Sibylla Theiler war Sibylla Schieren geworden, und das konnte sich erst nach Schierens Tod wieder ändern.
«Sibylla! Sibyyyyylla!», tönte ein herrischer Ruf durchs Haus. «Verfluchtes Weib, wo steckst du?»
Sibylla duckte sich. Sie stand neben Barbara in der Küche, um die Einkäufe und den Speisezettel zu besprechen. Auch Barbara war unwillkürlich in sich zusammengesunken. Ohne es zu bemerken, hatten die beiden Frauen automatisch leiser gesprochen. Doch schon flog mit einem lauten Knall die Küchentür auf, und Schieren stürmte herein.
Er trug noch seinen Nachtkittel, obwohl es bereits heller Vormittag war. Der Kittel hatte Flecke, deren Herkunft Sibylla lieber nicht wissen wollte. Seit über einem Monat war sie nun schon mit diesem Mann verheiratet, und er hatte in dieser Zeit noch nicht einmal seine Nachtwäsche gewechselt. Er kam näher und mit ihm ein Schwall übel riechender Ausdünstungen.
«Steht ihr schon wieder in der Küche und schwatzt?», herrschte er die Frauen an, die vor seinem Gestank einen Schritt zurückwichen. «Wo ist mein Frühstück?»
«Da!»
Sibylla wies mit dem Finger auf eine Tonschale,
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