Die Pension am Deich: Frauenroman
Die brauchten niemanden zu bespaßen. Die konnten einfach ruhig sein oder reden, ganz wie und wann sie es wollten.
Später waren Jana und Jonas wunderbare Antriebsfedern für lebhafte Diskussionen. Es gab immer ein Thema. Sicher war es auch einmal ruhig. Zum Beispiel, wenn die beiden mit ihren Walkmen an den Ohren vor sich hindösten. Aber diese Stille tat nicht weh, sie trennte nicht. Oft hatten Frank und sie sich dann einen verstehenden Blick zugeworfen. Manchmal zärtlich verstohlen dem anderen über die Hand gestrichen.
Warum sind Jana und Jonas eigentlich bis zum Schluss mit ihnen in die Ferien gefahren? Sie hat nie ernsthaft darüber nachgedacht. Obwohl ihre Freundinnen sie darauf angesprochen haben und erzählten, dass sich ihre Kinder längst abgesetzt hätten. Das wäre nun einmal der Lauf der Dinge.
»Unsere gehen auch eigene Wege im Urlaub«, hatte Monika sich gerechtfertigt. »Wir kleben nicht die ganze Zeit zusammen. Sie werden schon losziehen, wenn es soweit ist.«
Sie hatte sich geärgert, dass es anscheinend für alles einen Zeitfahrplan gab. Einen, der für jeden passen muss. Sonst ist man auffällig. Wie zum Beispiel: Ab einem bestimmten Alter fahren Kinder nicht mehr mit den Eltern in den Urlaub. Basta! Ihre Freundinnen hatten letztes Jahr mit einer gewissen Genugtuung den Auszug der Zwillinge registriert. Ihr Weltbild passte wieder, dafür war Monikas in Wanken geraten.
Was soll das mit den Kindern, unterbricht sie ihre Gedankengänge. Sie sind nicht schuld, dass sie ein Problem hat, neben Frank im Auto zu sitzen und keine Worte zu finden. Alles nur Ablenkung von dem Eigentlichen. Ablenkung von ihrer jüngsten Vergangenheit. Sie würde die Erinnerung an die letzten Wochen am liebsten löschen. Das versucht sie so energisch, dass sie durch ihre Verdrängung zu wachsen scheint. Immer gefährlicher wird. Die gespeicherten Bilder warten gnadenlos auf den Augenblick, in dem sie nicht aufpasst, um dann über sie herzufallen.
Nein, es geht nicht um die Kinder. Sie hat aus einem anderen Grund Angst, mit Frank allein zu sein. Sie hätte noch ein paar Tage Abstand gebraucht, um wieder mit sich ins Reine zu kommen. Zeit, um ihre Fast-Affäre zu verdauen. Vor allem ihr Ende. Ein Ende von etwas, was gar nicht richtig angefangen hat. Zum Glück. Nicht auszudenken, wenn sie mit Erik im Bett gelandet wäre. Vor dem Finale haben sie allerdings nicht ihre Charakterstärke, sondern lediglich die fehlenden Umstände geschützt. Wäre es möglich gewesen, ohne Vorplanung, wie in einem kitschigen Film: allein mit ihm – ein Zimmer – leise Musik – ein Bett – eine Nacht aus ihrem Leben schleichen – am nächsten Tag zurückgehen und zurückfinden. Ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Sich einfach kurz mal verstecken, wie Kinder in ihrer selbst gebauten Bettenburg. Keine Frage: wenn das möglich gewesen wäre, sie hätte sich in seine Arme geworfen. Nur die Angst vor dem Tag danach hat sie davor bewahrt. Da braucht sie sich nichts vorzumachen.
Nun ist es vorbei. Aus. Schluss. Keine Nische mehr für ihre romantischen Tagträume. Das weiß ihr Verstand, ihr Gefühl hinkt ihm noch hinterher. Dafür war das Ende zu abrupt und zu befremdend.
Sie hatte mit Erik die Segel eingeholt. Er hatte kaum merklich ihre Hand berührt und gefragt: »Ich habe heute Zeit. Wie viel nimmst du für eine ganze Nacht?«
Genauso hatte Monika diese Szene sich immer und immer wieder hergeträumt. Sie hatte sie in allen erdenklichen Variationen durchlebt. Und nun? Monika sah die untergehende Sonne über dem Wasser. Sie sah sein Lächeln. Sie roch seinen Körper. Alles stimmte. Nur der Text war falsch. Warum nahm er nicht einfach wortlos ihre Hand und entführte sie?
»Unbezahlbar«, lachte sie verlegen.
Erik sah sie an. Er wartete wirklich auf eine Antwort. Widerstrebend begriff sie: Er meint seine Frage ernst. Er will Sex mit mir und er will dafür bezahlen.
Monikas Wangen brennen bei der Erinnerung. Wie hatte sie sich so täuschen können? Weil sie bis über beide Ohren verliebt war, wie ein junges Mädchen. Für kurze Zeit hat ihre vertraute Welt auf dem Kopf gestanden und nichts, aber auch rein gar nichts hat ihr Halt geben können. Sie hat nur wie in Trance von einem Treffen mit Erik zum nächsten gelebt. Hinter seiner einfühlsamen Art hätte sie niemals eine so perverse Neigung vermutet. Warum hat er sich überhaupt so viel Mühe mit ihr gemacht? Vielleicht gehört das alles zu seinem – Vorspiel. Vielleicht muss er sich
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