Die Pension am Deich: Frauenroman
scheint ihn zu beruhigen. Monika betrachtet ihn aus den Augenwinkeln. Frank wirkt so ungewohnt empfindsam. Oder bildet sie sich das nur ein? Ist es ihre eigene Verwirrtheit? Sind es ihre diffusen Schuldgefühle, die ständig zu Irritationen führen?
Frank. Gerade Ende vierzig. Er sieht jünger aus, wenn sie ihn mag. Sein Gesicht ist straff, wie seine Figur. Er joggt regelmäßig und geht diszipliniert in die Muckibude. Seine frühzeitige Glatze hat er gelassen hingenommen und das Resthaar extrem geschoren. Eine Notlösung, die ihm ausgezeichnet steht.
Er ist ein attraktiver Mann, stellt Monika verwundert fest, als sehe sie ihn zum ersten Mal. Was, wenn es in Franks Leben auch eine andere Frau geben würde? Eine, zu der er sich unwiderstehlich hingezogen fühlt. So wie sie für kurze Zeit zu Erik. Eine Frau, in deren Gegenwart Frank spielend leicht Worte fände. Eine, mit der er über Gott und die Welt philosophieren könnte. Mit der er sich noch einmal jung und unbesiegbar empfindet. Der Gedanke gibt ihr einen heftigen Stich durch den Brustkorb. Sie könnte es nicht ertragen.
Und Frank, wie ginge er damit um? Was wäre in ihm vorgegangen, wenn er sie zusammen mit Erik am Steg beobachtet hätte. Oder ihre Gespräche mitangehört. Ganz zu schweigen von den Szenen, die sich in ihrer Fantasie abgespielt haben.
»Wir fahren das erste Mal ohne die Kinder in den Urlaub. Letztes Jahr konnten wir uns einfach nicht entscheiden, wo wir hinfahren wollten«, redet Monika konfus drauflos.
Frank wirft ihr einen erstaunten Blick zu. »Wieso nicht entscheiden? Du wolltest doch zu Hause bleiben und unbedingt renovieren.«
Monika schweigt betreten. War sie das, die nicht wegfahren wollte? Sie erinnert sich nur vage. Ja, sie wollte die Mansardenwohnung in Schuss bringen. Das erschien ihr plötzlich dringend notwendig. Und eilig. Als wären Jonas und Jana nur kurz verreist, und man müsste ihre Abwesenheit nutzen, um ihre Zimmer herzurichten. Stimmt, das war ihr wichtig. Aber das ist nicht der einzige Grund, aus dem sie zu Hause geblieben sind. Das macht Frank sich rückwirkend zu einfach.
»Was heißt, unbedingt renovieren«, wehrt sie sich. »Du warst auch nicht wegzubewegen. Du wolltest sparen. Erst einmal schauen, wie die Kosten für das Studium in einer anderen Stadt ausfallen. Das waren genau deine Worte.«
»Stimmt, das waren meine Worte. Aber das habe ich nicht so ernst gemeint. Keine Veranlassung, gar nicht in den Urlaub zu fahren.«
Monika presst ihre Lippen zusammen und antwortet nicht mehr. Nicht ernst gemeint, denkt sie ärgerlich. Das hat sich letztes Jahr ganz und gar anders angehört. Dass sich jeder die Vergangenheit immer so zurechtzimmert, wie es ihm gerade passt.
Sie fahren durch die Heidelandschaft kurz vor Bremen. Die Pflanzen sehen farblos und vertrocknet aus. Das blasse Bild täuscht. Im Sommer leuchtet hier ein lilafarbenes Blütenmeer. Monika atmet tief durch. Sie will keinen Streit anfangen. Schon gar nicht, aus welchem Grund sie im letzten Jahr nicht in den Urlaub gefahren sind. Fakt ist: Sie sind zu Hause geblieben. Sie sind sich mit viel Arbeit und Grilleinladungen gut aus dem Weg gegangen. Und wahr ist auch: Sie waren beide geschockt, plötzlich allein zu sein. Vielleicht für immer. Damit konnten weder sie noch Frank im Crashkurs umgehen.
Nach den Nachrichten wird wieder Musik gespielt. Die Stille zwischen ihnen ist nun noch präsenter, da Frank sie zum Thema gemacht hat. Worüber haben sie sich früher während einer Autofahrt eigentlich unterhalten?
Als die Kinder klein waren, haben sie sich über jeden Augenblick gefreut, in dem sie nicht reden mussten. Sie haben die kostbaren Momente genossen, in denen jeder seinen Gedanken nachhängen durfte. Meistens lief eine der Kinderkassetten im Auto. Die konnte sie gut ausblenden und sich dabei entspannen. Wenn den Zwillingen die zu langweilig wurden, waren Spiele angesagt. Berufe raten. Sehr beliebt war das Zusammensetzen von Wörtern. Hausmeister – Meisterschule – Schulklasse – Klassenlehrer – Lehrerhaus – Hausmeister – Stopp! Hatten wir schon!
Monika lächelt wehmütig. Kurz vor dem Reiseziel kippte die Stimmung meistens. Die Kinder bekamen entweder einen unerträglich albernen Lachanfall oder sie begannen sich zu streiten. Wenn sie Glück hatten, schliefen sie ein. Dann war die Ruhe einfach himmlisch. Wie eine Hoffnung auf etwas. Manchmal hatte sich Monika bei dem Gedanken ertappt, andere Pärchen ohne Nachwuchs im Auto zu beneiden.
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