Die Pension am Deich: Frauenroman
Rehaugen. Er – durchtrainiert und gut einen Kopf größer als seine Frau. Er hat freundliche, warme Augen und eine offene Art. Dafür lächelt seine Gattin so unterkühlt, dass man sich kaum traut, ihr die Hand zu geben. Kein Hauch von Vorfreude. Dabei hat Herr Habermann am Telefon verraten, dieser Kurzurlaub soll eine besondere Überraschung für seine Frau werden. Solche Bonbons scheint sie gewohnt zu sein. Ebenso, dass er alles für sie regelt. Frauchen braucht nur mitzukommen. Hat nur gefehlt, dass er sie über die Türschwelle trägt.
Die können noch nicht lange zusammen sein, urteilt Tomke schlecht gelaunt. Dabei hätte sie was für ein alteingespieltes Ehepaar gegeben. Gerne eines, das sich hemmungslos angiftet. Das hätte ihr gut getan und daran erinnert, Alleinsein hat durchaus seine Vorteile. Tomke öffnet mit einer heftigen Bewegung das Garagentor. Es gibt so viele nette Paare, die sich anöden. Aber ausgerechnet sie muss ihre absolute Hasskonstellation abkriegen: Er ein »Ich-mache-alles-für-dich-mein-Schatz-Mann« und sie ein »Huch-wie-lieb-von-dir-Frauchen«. Tomke stampft mit weit ausholenden Schritten in den Garten. Die da oben braucht garantiert keine Gartenabfälle zum Wertstoffhof zu bringen. Sie wirft im Gehen einen mürrischen Blick auf das Fenster in der ersten Etage. Die haben im Eiltempo ihre Klamotten aus dem Auto geholt und sich gleich wieder in ihrem Zimmer verschanzt. Vergebens wehrt sich Tomke gegen wild aufkommendende Fantasien über das aktuelle Treiben der beiden. Es ist wie verhext. Das komplette Wangerland scheint plötzlich aus frisch verliebten Pärchen zu bestehen. Wo sind nur die vielen Singles geblieben, die normalerweise durch den Ort promenieren? Die allein vor ihrem Pott Tee oder einem Bier hocken und sich vorher oft ein Buch kaufen, um Unterhaltung zu haben. Wo sind die ganzen Typen, die gern mal einen freundlichen Blick riskieren und die man nicht ermutigen darf, sonst sitzen sie neben einem? Weg. Wie von einer Riesenwelle vom Strand gefegt und in trauter Zweisamkeit wieder angespült.
Tomke pfeffert einen Container mit Gartenschnitt in den Laderaum ihres Wagens. Was macht sie sich für saublöde Gedanken. Die beiden da oben, das sind ihre Gäste. Ob sie nun verliebt sind oder nicht. Es geht sie nichts an. Ende! Schluss! Aus! Sie kann schließlich nicht auf ihre Homepage schreiben: Alleinreisende bevorzugt oder Paare unerwünscht oder Frühstückspension für Singles. Erstens bekäme sie dann mit Sicherheit zweideutige Angebote. Und zweitens kann sie sich solche Extravaganzen nicht leisten. Die Pension war fast drei Jahre lang geschlossen, und ihre Stammgäste mussten sich eine andere Urlaubsbleibe suchen. Klar, bei einigen brauchte sie sich nur zu melden. Die würden sofort wiederkommen. Aber erst zur nächsten Saison. Stammgäste buchen immer weit in Voraus.
Außerdem bezweifelt sie, ob die alten Badegäste »ihre« Frühstückspension noch mögen würden. Das Haus hat sich komplett verändert und Tomke ebenfalls. Aber Stammgäste lieben die Vertrautheit. Sie wollen ihr altes Urlaubsgefühl immer wieder neu erleben und auf Veränderungen reagieren sie empfindlich. Vielleicht ist es wirklich das Beste, sie fängt mit Fremden von vorne an. Das bewahrt sie selbst auch vor unliebsamen Erinnerungen. Die Szene eben hat ihr schon gereicht. »Trinken Sie Tee oder Kaffee?«
»Kaffee«,hat die Piepsmaus das erste Mal geantwortet, »wenn möglich mit Kuhmilch.«
Das war ein heftiges Déjà-vu. Vor drei Jahren stand Teresa vor ihrer Haustür. Auch aus Hannover. Sie hatte nur eine Tasche dabei und wusste nicht, wie lange sie bleiben wollte. Tomke hatte ihr wie in Trance ein Zimmer gegeben, obwohl sie zu der Zeit keine Fremde im Haus gebrauchen konnte. Sie hatte ganz andere Sorgen. Dass Teresa die Lösung sein sollte, darauf wäre sie nie gekommen. Ebenso wenig, dass diese unentschlossen wirkende, zarte Frau einmal ihre Freundin sein sollte.
Tomke wuchtet den letzten Grüncontainer in die Einfahrt. Die Hortensien haben durch den langen, ungewöhnlich harten Winter übel gelitten. Sie mussten radikal runtergeschnitten werden. Die Rosen ebenfalls. Aber sie hat schon neue Triebe erspäht. Die Pflanzen werden sich rappeln. Tomke hebt den Behälter an und verfrachtet ihn mit Schwung ins Auto. Geschafft, denkt sie und sieht gerade noch, wie ein kleines, hellbraunes Etwas hastig unter einem Sitz verschwindet.
»Schiet, eine Maus!«, ruft Tomke laut. Die muss sich am Rand eines
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