Die Pension am Deich: Frauenroman
vorher so lange aufgeilen und kann nur, wenn er dafür bezahlt. Im Grunde muss sie dankbar sein, dass er sie vorher gefragt hat. Nicht auszudenken, wenn sie mit ihm im Bett gelandet wäre und morgens beim Aufwachen ein paar Scheine auf dem Nachttisch gefunden hätte.
Sie sieht Frank liebevoll an. Meine Güte, um ein Haar hätte sie ihn mit diesem abartig tickendenden Typen betrogen. Warum fühlt es sich so an, als hätte sie es getan? Beschämt denkt sie daran, wie oft sie sich in Gedanken mit Erik über die Laken gewälzt hat. Untreue beginnt im Kopf.
Franks Hand berührt sanft ihren Oberarm. Monika fährt zusammen.
»Ist dir schlecht?«, fragt er besorgt.
Monika schüttelt den Kopf. Seine Stimme klang lange nicht so liebvoll. Verdammt noch mal, wo hat er denn in der letzten Zeit gesteckt? Warum hat er sie allein gelassen? Erik hätte nie eine Chance gehabt.
»Eine kurze Pause wäre trotzdem gut. Einen Moment die Beine vertreten«, sagt Monika. Vor allem möchte sie Franks fürsorglichem Blick entkommen.
Der Parkplatz ist angenehm leer. Sie essen ihr Brot und trinken Tee. Für unterwegs nimmt Monika immer Tee mit. Sie hat noch keine Thermoskanne gefunden, in der Kaffee so heiß bleibt, wie sie ihn mag. Sie sitzen auf einer Bank und halten ihre Gesichter in die Sonne.
»Die hat uns gefehlt«, sagt Frank mit geschlossenen Augen. »Vitamin D kann ohne Sonne nicht umgesetzt werden. Habe ich gestern erst gelesen. Der Winter war einfach zu lang.«
»Ja, das ist wahr«, stimmt Monika ihm zu und ist froh, dass er sie nicht ansieht. Er hätte sonst bemerkt, wie irritiert sie ist. Er beginnt eine Unterhaltung. Oder hat er das immer gemacht, und ihr ist das nur nicht aufgefallen?
»Es soll auch viel mehr Depressionen in diesem Frühjahr gegeben haben«, erzählt er weiter. »Ich habe mir selbst schon eingebildet, dass ich eine habe«, fügt er halb scherzhaft hinzu und Monika blinzelt ihn überrascht an. Meint er das ernst? Hat sie nicht bemerkt, dass er gelitten hat? Hat nicht er sie, sondern sie ihn allein gelassen? Monika schüttelt den Kopf. Diese quälenden Gedanken sind sinnlos. Sie hat schlicht und einfach ein schlechtes Gewissen und legt jetzt jedes Wort auf die Goldwaage. Frank hätte jederzeit mit ihr reden können, denkt sie trotzig. Sie hätte sicher nicht weggehört. Aber er hat gemauert und geschwiegen. Da kann man niemandem helfen.
Frank schlägt sich unternehmungslustig auf die Oberschenkel: »Komm, lass uns weiterkutschieren! Das Wetter soll nicht so schön bleiben. Pünktlich zum ersten Mai ist es wieder kühl und nass angesagt. Also: nutzen wir den Augenblick und vor allem die Sonne!«
Er bietet an, auch die restliche Fahrt am Steuer zu bleiben. Monika lässt ihn. Normalerweise wechseln sie sich in regelmäßigen Abständen ab. Heute ist sie für sein Angebot dankbar. Sie ist viel zu unkonzentriert, um Auto zu fahren. Die Wetterlage interessiert sie nicht. Die ist in den letzten Wochen unbemerkt an ihr vorbeigezogen. Selbst beim Segeln war es ihr gleichgültig, ob sie nass wird. Das Einzige, was gezählt hat: Wann sehe ich Erik wieder? Wie kann ich ihn öfter treffen, ohne dass es auffällt? Sie wurde von einem längst vergessenen federleichten Gefühl getragen. Jedes Liebeslied im Radio schien speziell für sie geschrieben zu sein. Sie war wirklich meilenweit von einer Depression entfernt.
Frank nimmt sich ein Pfefferminzbonbon und bietet ihr auch eines an. Monika lehnt ab. Sie sind ihr zu scharf.
Vor Wilhelmshaven fahren sie von der Autobahn ab. Die Küstenstraße mit den windschiefen Bäumen macht deutlich, wo sie sich befinden. Im Norden, ganz nah am Meer. Der Himmel ist weiter, und Monika sieht ihm sehnsüchtig entgegen. Vielleicht ist es gut, dass sie hierher gefahren sind. Dass sie nicht länger ausweichen konnte.
Frank hat in Horumersiel ein Zimmer gebucht. Monika will nicht mehr darüber nachdenken, was ihn dazu getrieben hat. Warum soll sie sich diese paar Urlaubstage mit Misstrauen verderben? Aber so sehr sie sich dagegen auch sträubt: Es bleibt in ihr wie ein lauerndes Tier.
Obwohl in keinem Bundesland mehr Osterferien sind, herrscht in dem Küstenort lebhafter Betrieb. Vor kleinen Cafés und Gaststätten sitzen sonnenhungrige Touristen. Monika ist froh, dass ihre Unterkunft abseits des Trubels liegt. Rechts der Deich und links die üblichen blitzsauberen Backsteinhäuser. Akribisch gepflegte Vorgärten, in denen schon Strandkörbe stehen. Überall einladende Bänke, von
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