Die Pension am Deich: Frauenroman
Primeln und Osterglocken umrahmt. Die sind eindeutig für die Gäste gedacht. Niemand, der Haus und Garten so in Schuss hält, hat Zeit und Muße, selbst in der Sonne zu sitzen.
Die Pension Heinrich wirkt dagegen eher schlicht. Es ist das einzige Haus, dessen Fenster keine Gardinen haben. Dafür schützen prächtige Grünpflanzen auf den Fensterbänken vor neugierigen Blicken.
Bevor sie klingeln können, wird die Haustür geöffnet.
»Moin, willkommen in Horumersiel. Ich bin Tomke Heinrich.«
Mit professioneller Freundlichkeit reicht sie ihnen nacheinander die Hand. Ihr Händedruck ist angenehm fest. Monika schätzt sie auf Ende fünfzig. In ihrem ultrakurz geschnittenen Haar schimmern noch Reste einer roten Tönung. Ansonsten ist es grau, fast weiß. Sie trägt Jeans und ein unkleidsames Oberteil. Sie scheint nicht viel Wert auf ihre äußere Erscheinung zu legen.
»Guten Tag, Frank Habermann und Frau aus Hannover«, grüßt Frank jovial zurück. Seine Fröhlichkeit wirkt befremdend aufgesetzt und lässt Monika zusammenzucken. Sie bringt kein Wort über die Lippen.
Frau Heinrich nickt ihr nur kurz zu und wendet sich an Frank: »Kommen Sie herein. Ich zeige Ihnen eben Ihr Zimmer.«
Während sie das sagt, nimmt sie schon die ersten Stufen der Treppe. Die beiden folgen ihr. Monika muss dabei unwillkürlich auf Tomke Heinrichs Hintern starren. Die Aufmachung ihrer Vermieterin mag zwar neutral, fast abweisend wirken, ihre Hüftbewegungen sind verwirrend weiblich.
Der Flur in der ersten Etage ist hell gestrichen, der Fußboden mit Laminat belegt. Die hereinfallenden Sonnenstrahlen untermalen die freundliche Helligkeit. Frank streicht Monika zärtlich über den Rücken. Die Intimität seiner Berührung macht ihr bewusst, dass er sich auf die Tage mit ihr freut. Ein Gefühl, das sie nicht mit ihm teilen kann – so leid es ihr auch tut.
Das Zimmer ist großzügig geschnitten. Genug Platz, um gemütlich in zwei Sesseln zu sitzen und über den Deich zu blicken, fast bis zum Meer. Sie werden es nachts bei geöffnetem Fenster hören können.
Frau Heinrich bleibt in der Tür stehen.
»Der Schlüssel passt für Zimmer und Haustür. Wenn Sie einen zweiten benötigen …?«
»Brauchen wir nicht«, verkündet Frank zuversichtlich, und Monika lächelt verkrampft.
»Ach, trinken Sie Tee oder Kaffee zum Frühstück?«
»Kaffee, wenn möglich mit Kuhmilch«, antwortet Monika. Es ist das erste Mal, dass sie sich einbringt. Frau Heinrich wirft ihr einen erstaunten Blick zu, als hätte sie nicht erwartet, dass sie sprechen könnte. Dann lacht sie unvermittelt auf. Ihr Lachen klingt nicht fröhlich. Frank und Monika wechseln einen verstohlenen Blick miteinander.
»Entschuldigung«, versucht Tomke zu erklären. »Ihre Antwort hat mich nur gerade an einen Gast erinnert. Ist eine Zeitlang her und der kam auch aus Hannover.«
Die Habermanns nicken nur höflich.
»Ich muss gleich einen Gast aus Wilhelmshaven abholen. Wenn Sie noch Fragen haben, …«
»Nein, alles paletti«, winkt Frank ab, und Tomke zieht flink die Tür hinter sich zu.
»Leicht verhuscht, die Gute«, kichert Frank. »Dafür aber nicht so geschwätzig. Pluspunkt. Weißt du noch, die vom Schwalbennest auf Norderney? Die hat sich sogar mit an den Frühstückstisch gesetzt. Und wenn sie weg war, kam ihr Mann. Kaum zu glauben, die haben beide ihre Gäste als Gesprächspartner ausgenutzt.«
Monika durchströmt ein warmes Gefühl. Weißt du noch, klingt es in ihr nach.
Sie gehen nach unten zum Auto und tragen ihre Taschen hoch. Monika hat völlig konfus gepackt. Das Wetter war überhaupt nicht einzuschätzen, und sie selbst schon gar nicht. Nun hofft sie, dass sie an das Wichtigste gedacht hat.
Sie sortieren einträchtig ihre Sachen in den Schrank. Ganz ordentlich, als bezögen sie eine neue Wohnung. Total bescheuert, für die paar Tage alles aus den Taschen zu nehmen. Aber die Handgriffe beruhigen sie. Frank scheint es ähnlich zu gehen.
Und nun?«, fragt er, als sie fertig sind. »Päuschen oder ein wenig die Gegend erkunden?«
Monika starrt wie hypnotisiert auf das breite Bett. Nein, keine Pause. Raus hier!
»Ich will das Meer sehen«, sagt sie und bemüht sich, mit fliegenden Händen ihr buntes Tuch kunstgerecht um den Kopf zu binden.
Kapitel 6
Tomke holt Anne in Wilhelmshaven vom Bahnhof ab
Genau so ein Pärchen hat Tomke gefehlt, um sich noch beschissener zu fühlen. Sie – mädchenhaft zart mit feinem, blondem Babyhaar und scheuen
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