Die Pension am Deich: Frauenroman
er ihr.
Erscheint er ihr noch immer. Knall auf Fall verliebt in einen fremden Mann. Als hätte sie mit offenen Fenstern und Türen nur auf ihn gewartet.
Was war so berauschend anders an Erik? Sie kann sich kaum an die Gespräche mit ihm auf dem Boot erinnern. Aber sie kamen ihr geradezu philosophisch klug vor. Wie kleine Offenbarungen. Denen sie sich willig öffnete. Wenn Erik gewollt hätte, sie wäre mit ihm bis an das Ende der Welt gesegelt.
Gegen diesen leuchtenden Eindruck hatte Frank, wenn sie vom See zurück nach Hause kam, keine Chance. Von ihm meinte sie jede Geste, alle Worte und Gefühle zu kennen. Er wirkte gegen Erik grau und uninteressant. Rückblickend ahnt sie, dass sie die Friedlichkeit in ihrer Ehe mit Langeweile verwechselt hat.
»Jetzt ein Fischbrötchen«, hört sie Franks Stimme neben sich. »Oder wollen wir artig sein und unser Lunchpaket verspeisen?«
»Nein, lass mal. Es riecht hier so lecker. Ich hole uns welche.« Monika steht bereitwillig auf. Sie hat das dringende Bedürfnis, etwas für Frank zu tun. Scheiß schlechtes Gewissen. Dabei sollte sie einfach nur einen Strich ziehen und sich freuen. Sie ist nicht fremdgegangen. Nicht wirklich. Sie könnte sich selbst in den Hintern treten, dass sie es sich so schwer macht. Das wird schon, tröstet sie sich. Niemand kann von einem Tag zum anderen von einer Fast-Affäre auf glückliche Ehe umschalten. Sie kramt in ihrer Tasche nach dem Portmonee. Vergeblich.
»Ich habe mein Geld vergessen. Hast du deins dabei?«
»Klar«, sagt Frank und reicht ihr seinen Rucksack. Klar, denkt Monika. Auf dich kann ich mich verlassen.
»Ich geh vorher zur Toilette. Bismarckhering für mich. Mit viel Zwiebeln.«
»Ich weiß«, lächelt Monika und sieht ihm hinterher. Ich weiß, wiederholt sie in Gedanken und öffnet seinen Rucksack. Als sie den Reißverschluss zum Innenfach aufzieht, verstärkt sich ihr Lächeln. Jede Menge Werbezettel. Frank ist wirklich unmöglich. Er lässt sich nicht nur alles in die Hand drücken, er schleppt es auch noch mit sich herum. Sie schiebt den Papierberg zur Seite, da springt ihr ein Name ins Auge. Erik.
Mit wild klopfendem Herzen schiebt sie eine Visitenkarte frei. Erik Wendland. Privatdetektei
Monika starrt auf das Kärtchen. Erik. Ein Zufall, sicher, was sonst. Verdammt! Warum hat sie nie nach seinem Nachnamen gefragt. Weil er sie nicht interessiert hat. Sie wollte nicht wissen, ob er verheiratet ist, vielleicht Kinder hat. Der Familienname wäre womöglich der Anfang seiner Geschichte gewesen. Seiner wahren, die fest verankert mit Menschen war, die zu ihm gehörten. Das hätte die feinen Fäden, den irrationalen Zauber ihrer Begegnung zerstört.
Warum hebt Frank eine Visitenkarte von einem Privatdetektiv auf? Weil er alles endlos lange aufhebt, ohne darüber nachzudenken. Als Monika das Kärtchen in ihrer Tasche verschwinden lässt, sind ihre Hände nassgeschwitzt.
Kapitel 13
Anne allein unterwegs
Für einen Augenblick bleibt sie stehen und blickt über das Wattenmeer. Es leuchtet in einer Palette aus warmen Beigetönen, hier und da ein sanftes Blau, sogar Rosa. Seine Schönheit ist überwältigend. Weiter hinten erkennt man das Meer. Es scheint sich mit dem Himmel zu verbinden. Laut Tidenplan läuft das Wasser noch eine Stunde ab, bis es seinen Rückweg antritt. Erst langsam, dann immer schneller, immer raumeinnehmender. Wo jetzt Menschen spazieren gehen, werden sich in gut sechs Stunden Wellen kraftvoll überschlagen. Als wären sie nie weg gewesen. Man könnte meinen, das Ganze sei nur ein Spuk gewesen. Obwohl Anne sich die Tiden physikalisch erklären kann, hat dieses Naturschauspiel für sie nichts von seinem Zauber verloren.
»Einen schönen Urlaubstag für Sie!« Die Männerstimme ist unmittelbar hinter ihr. Anne springt vor Schreck einen Schritt zur Seite. Herr Habermann. Er radelt bestens gelaunt an ihr vorbei. Im knappen Abstand folgt ihm seine Frau. Sie schenkt ihr nur ein entschuldigendes Lächeln. Anne erwidert es fahrig und sieht ihnen nachdenklich hinterher. Ein Bilderbuchehepaar, laut Tomke Heinrich. Sind sie wirklich geeignet, Protagonisten abzugeben? Eher nicht. Da war sie ihrer Wirtin nicht ehrlich gegenüber. Dabei hat Anne sehr wohl gemerkt, ihre aalglatte Antwort hat sie enttäuscht. Aber sie hätte ihr wohl kaum sagen können: Die beiden erscheinen in ihrem Pärchenglück fast zu harmonisch. Ihnen fehlt das gewisse Drama, ein wenig Zündstoff. Was hätte Frau Heinrich dann von
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