Die Pension am Deich: Frauenroman
Entscheidung war ihr abgenommen. Sie brauchte sich um nichts zu kümmern. Die Kosten hielten sich in Grenzen, da Birgit gute Verbindungen hatte. So gingen sie ein paar Wochen einmal abends zum Unterricht und ließen sich von zwei Ausbildern auf die theoretische Prüfung vorbereiten. Zum Glück hatte Monika vorher keinen Schimmer, welcher Lernberg da auf sie zukommen würde. Das waren Hunderte von Prüfungsfragen und alle Begriffe neu, wie aus einer völlig fremden Sprache. Aber es machte ihr Spaß, sich anzustrengen. Dazu war die bunt zusammengewürfelte Schülergemeinschaft witzig. Sie gingen hinterher oft ein Bier trinken, und Monika fühlte sich in ihre Ausbildungszeit zurückversetzt. Die Welt erschien ihr offener. Sie hatte wieder eine Zukunft.
Nach der theoretischen Prüfung kam die Praxis auf dem Maschsee. Wer mit wem als Zweierteam auf eine Jolle wollte, hatte sich schon herauskristallisiert. Wobei die lakonische Bemerkung des Langen war: »Ob die Chemie zwischen euch wirklich stimmt, merkt ihr erst auf dem Wasser.«
Die stellten Monika und Birgit bei sich nicht infrage. Ihre Teamfähigkeit zu beweisen, dazu hatten sie keine Gelegenheit mehr. Birgit brach sich, einen Tag, bevor es losgehen sollte, das Sprunggelenk. Nicht etwa bei einem zu übermütig genommenen Anleger, sondern schlicht und einfach beim Müllrunterbringen. Sie hatte die letzte Treppenstufe übersehen.
So saß Monika am ersten Praxistag allein auf dem Boot. Sie mühte sich gerade ab, auf der schwankenden Jolle das Großsegel hochzuziehen. Da kam Erik. Der Lange stand am Steg und bestimmte: »Du gehst zu Monika auf’s Boot!«
Erik hatte seine theoretische Prüfung an einer anderen Schule absolviert und wollte nun die Praxis nachholen. Er begrüßte sie gutgelaunt. Monika beachtete ihn kaum. Sie brauchte ihre volle Konzentration, um ihr Gewicht auf dem schaukelnden Untergrund auszugleichen. Erik packte beherzt mit an, und gemeinsam zogen sie die Wanten hoch. Nicht hoch genug, denn der Lange brüllte: »Euer Segel sieht aus wie eine Fuhre Mist!«
Erik grinste Monika aus der Deckung des Großsegels verschwörerisch an, und sie musste kichern. Aber sie gehorchten und zogen brav das Tuch, so straff sie konnten.
Monika setzte sich an das Ruder, und Erik übernahm das Vorsegel und somit die Aufgabe des Vorschooters. Der Lange gab ihnen letzte strenge Instruktionen. Dann ging es los. Das war ein traumhaftes Gefühl. Nur vom Wind weitergetragen zu werden. Der Kurze war schon mit einem Boot weiter draußen und hatte sich an einer Boje festgemacht, um die Schüler zu beaufsichtigen.
Sie sollten erst einmal mit Halbwind hin und her fahren und Wenden üben. Monika beobachtete Segel und Horizont und zog dicht und ließ los, wie sie es im Unterricht gelernt hatte. Es klappte tadellos und sie wurde schon übermütig. Da kam eine dicke Wolke und mit ihr der Wind. Nicht sehr viel, aber für einen Anfänger beträchtlich und Monika schrie hilfesuchend zum Boot des Kurzen: »Was soll ich jetzt machen?«
»Irgendwas!«, lachte der munter. »Jede Böe bringt Höhe!«
Er hatte in der Sonne gedöst und war aufgewacht. Der Unterricht schien ihm endlich Spaß zu machen. Wahrscheinlich erwartete er das erste Kentern. Darauf konnte Monika gut verzichten. Sie umkrallte die Schoot des Großsegels und drückte das Ruder von sich weg. Weg – gleich Wind wegnehmen, erinnerte sie sich aus der Theorie. In ihrer Anspannung drückte sie viel zu lange weg und bevor sie richtig begriff was geschah, hatte das Segel von einer Wende in eine Halse gedreht. Der Baum rauschte mit einer irren Geschwindigkeit über ihre Köpfe und riss das Boot in die entgegensetzte Richtung. Dabei krängte es bedrohlich und nahm Wasser auf. In ihrer Panik ließ Monika Ruder und Schooten los und suchte Halt an Erik. Er griff nach ihr und hielt sie fest. Dabei rief er ihren Namen. »Monika!« Er sprach ihn in einer Art und Weise aus, die sie mitten ins Herz traf. Als wüsste er nicht nur, wie sie hieß, sondern auch, wer sie war. Sie blieben eng aneinandergekrallt wie verschreckte Kinder in der Jolle liegen. Die fuhr ohne Steuermann brav in den Wind. Die Segel flatterten laut, aber die Gefahr war längst vorüber.
Von dem Augenblick an war Monika in Erik verliebt. Von einer Sekunde auf die andere. Als hätte sie ein Zauberstab berührt. Monika brauchte über einen Tag, um das Gefühl einzuordnen. Bis sie wagte, den Gedanken »Ich habe mich verliebt« überhaupt zu denken. So unwirklich erschien
Weitere Kostenlose Bücher