Die Pension am Deich: Frauenroman
Aber der Betrieb floriert, wie ihnen die überzeugten Stammgäste gestern schon erzählt haben. Die Frische scheint zu überzeugen.
Monika betrachtet die Takelage eines Zweimasters, der gerade anlegt, und die Worte ihres Segelausbilders fallen ihr wieder ein: »Warum braucht ihr den Schein? Um euch am Wasser miteinander unterhalten zu können!«
Das war der Lange. Der zweite Ausbilder war fast drei Köpfe kleiner als er. Das Gespann wurde von den Segelschülern nur der Lange und der Kurze genannt. Ja, warum wollte Monika den Segelbinnenschein? Nein, nicht um sich am Wasser besser unterhalten zu können. Obwohl eine angeregte Fachsimpelei ihr gerade jetzt geholfen hätte, mit Frank ins Gespräch zu kommen. Sie könnten gemeinsam überlegen, ob der Anleger elegant hingelegt wurde. Oder warum die Jolle, die gerade unter Motor aus dem Innenhafen kommt, zusätzlich die Fock gezogen hat. Da hat der Lange sicher recht. Aber Monika hatte andere Gründe: ein Freizeitloch und Birgit. Ihre Kollegin wollte unbedingt ihren Schein machen, aber bitte nicht allein. Birgit hatte auch eine andere Motivation, als sich eine fundierte Basis für Strandgespräche zu schaffen. »Ich habe die Nase gestrichen voll, für Rudolf nur die Galionsfigur abzugeben.«
Monika verstand nicht: »Wie meinst du das denn?«
Da hat Birgit ihr temperamentvoll ihre Position beim Anlegen des Bootes beschrieben. »Ich muss unter Rudolfs Kommando mit der Leine in der Hand vom Bootsbug auf den Steg springen. Bei dieser Aktion habe ich immer einen Höllenschiss und die unmöglichsten Visionen. Entweder, dass ich beim Landungssprung auf Entenschiss ausrutschte. Passiert nicht selten. Habe ich schon bei anderen beobachtet. Oder ich springe nicht weit genug und lege einen peinlichen Spagat zwischen Boot und Steg hin. Das tut dazu auch noch höllisch weh. Oder ich bleibe gleich mit einem Hosenbein an der Reling hängen. Diese Horrorszenarien habe ich dabei immer vor Augen. Das weiß Rudolf, aber ich muss springen. Weil ich ja nicht lenken kann. Für meinen Einsatz werde ich noch nicht einmal gelobt. Rudolf meckert die ganze Zeit. Pass auf, dass das Boot nicht an den Steg schrammt. Nun halt doch die Wanten besser fest und drück das Boot zurück. So geht das in einer Tour. Zum Bootsschutz gibt es Fender, und außerdem hat derjenige am Ruder dafür zu sorgen, dass das Boot heil in seine Box kommt. Ich mache den Schein. Das steht fest. Und dann stehe ich am Steuer und Rudolf muss nach meinen Anweisungen springen. Das sag ich dir!«
Monika sollte mitkommen. Unbedingt. Das würde ihr auch Spaß machen und ganz neue Perspektiven eröffnen. Welche das sein sollten, konnte keine von ihnen ahnen.
Monika ließ sich überreden. Sie war sowieso auf der Suche nach etwas Neuem. Von dem riesigen Angebot der Kurse an der Volkshochschule oder im Internet fühlte sie sich schier erschlagen. Aber sie musste etwas unternehmen. Das war ihr klar. Frank hat schon recht. Sie hatte sich im letzten Sommer mit Renovierungs- und Putzarien zu beruhigen versucht. Die ungewohnte Ordnung und Sauberkeit, ohne das täglich hinterlassene Chaos der Zwillinge, hatten ihr anfänglich sogar Freude bereitet. Bis sie begriff, wie armselig es war, sich über saubere Küchenflächen und ein matt glänzendes Parkett zu definieren. In dem Moment erst kam die Leere. Sie vermisste die Gespräche mit Jonas oder Jana zwischen Tür und Angel, für die sie sich selten ausreichend Zeit genommen hatte. Vorbei. Nicht nachzuholen. Der Abschnitt war Vergangenheit. Die beiden kommen zwar ab und zu nach Hannover. Doch dann besuchen sie ihre Freunde. Als hätten sie zu ihren Eltern von heute auf morgen den Draht verloren. »Unsinn«, hat Birgit gesagt. »Sie müssen sich neu orientieren. Das ist für die beiden auch keine leichte Phase. Sie brauchen erst einmal Abstand. Was erwartest du denn? Sollen sie dir regelmäßig einen Report über ihre aktuelle Gefühlslage geben?
»Vielleicht«, hat Monika geantwortet. »Ich besuche meine Eltern regelmäßig und gerne.«
»Ja, du«, hat Birgit gelacht. »Lass die beiden. Wenn sie wissen, wo sie im Leben stehen, kommen sie schon wieder. Unternimm was, anstatt Trübsal zu blasen und nur zu warten. Du wohnst in Hannover. Theater, Kleinkunstszene. Du hast alles vor der Nase. Lass dich einfach inspirieren.«
Das lehnte Monika ab. Es erschien ihr wie eine Therapie für verlassene Eltern. Die Aussicht auf einen Segelkurs machte ihr auch keine Schmetterlinge im Bauch, aber die
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