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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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erkennen, fasi wie gezeichnet. Der Mond schien hell ins Zimmer und spendete genug Licht, dass man sich in die Augen blicken konnte. Doch sie sprachen leise, als gelte es ein Geheimnis zu hüten.
    »Soll ich’s dir zeigen?«, flüsterte Grazia Nenè ins Ohr.
    »Ja«, sagte Nenè, ohne zu wissen, was das Mädchen meinte.
    Grazia nahm seine Hand und zog ihn mit sich. Die anderen schauten aus dem Fenster und scherzten miteinander. Und so bemerkte niemand, dass sie das Zimmer verließen.
    Es war stockdunkel im Flur, und als Nenè auf dem Treppenabsatz war, ahnte er, dass Grazia, die ihm vorausging, bereits die Treppe hinunterstieg.
    »Mach das Licht an, ich sehe nichts.«
    »Nein«, sagte Grazia. »Ich will nicht, dass die anderen uns folgen. Halt dich an meinen Schultern fest.«
    Er ging wie ein Blinder, aber er war glücklich: Er hatte verstanden, dass Grazia ihm das Haus zeigen wollte.
    Wie sehr hatte er sich nach diesem Augenblick gesehnt! Wie oft hatte er sich gefragt, wie die Pension Eva wohl von innen aussah! Er erinnerte sich auch, wie er als kleiner Junge den Kopf in die Tür gesteckt hatte und von dem Uniformierten ausgeschimpft worden war.
    Im ersten Stock steckte Grazia den Schlüssel in die Tür und öffnete sie leise.
    »Komm rein.«
    Nenè folgte ihr, Grazia schloss hinter ihm ab und machte das Licht an.
    Sie standen in einem Korridor mit neun Türen, fünf auf der linken Seite, vier auf der rechten. Rechts führte eine breite Treppe nach unten.
    »Hier arbeiten wir«, sagte Grazia.
    Sie machte zwei Schritte und öffnete eine der Türen.
    »Das ist mein Zimmer.«
    Der Raum war wie eine Gefängniszelle, man konnte sich darin kaum bewegen. Das Zimmer war sauber, roch nach Desinfektionsmittel, wie in einem Krankenhaus, und war karg eingerichtet: nicht mehr als ein schmales Bett, eine Kommode und ein Stuhl, an der Wand Waschbecken und Bidet, das war alles.
    Grazia schloss die Tür und ging zum nächsten Zimmer.
    »Das hier ist das Badezimmer.«
    Sie öffnete eine weitere Tür.
    »Das hier ist die Kammer des Dienstmädchens, sie schläft aber nicht hier.«
    Ein Bett hätte ohnehin nicht hineingepasst. Das einzige Möbelstück war ein abgewetzter Sessel. Die Kammer glich eher einem Abstellraum, vollgestopft mit Bettwäsche, Handtüchern, Putzlappen, Besen und Seife.
    »Lass uns jetzt nach unten gehen.«
    Sie stiegen die Treppe hinab.
    Und Nenè fand sich in einem riesigen Salon wieder, an dessen Wänden ringsum Sofas in unterschiedlichen Farben standen, dicht an dicht, sodass man meinen konnte, es handelte sich um ein einziges Sofa.
    »Hier sitzen die Kunden. Wir kommen von oben herunter, stellen uns in die Mitte des Raumes und zeigen uns, bis uns schließlich jemand auswählt. Dann gehen wir mit dem Kunden nach oben auf unser Zimmer, und wenn wir fertig sind, kommen wir wieder runter und übergeben Signora Flora die Marke. Der Kunde bezahlt, wenn er geht. Signora Flora sitzt dort.«
    Neben der Tür, die ins Vestibül führte, stand auf einem Podest ein kleiner Tisch mit einer riesigen Registrierkasse. Dahinter, auf dem großen Sessel aus Gold und rotem Damast, thronte an Arbeitstagen Signora Flora. An der Wand dahinter hing eine Tafel, die Preisliste.
     
    EINFACH: 3,50 £
    VIERTELSTUNDE: 7 £
    HALBE STUNDE: 13 £
    ITALIENISCHE UND DEUTSCHE SOLDATEN, MILIZSOLDATEN, SCHWARZHEMDEN UND
    MILITARISIERTE: 25 % RED.
    ANDERE: PREIS NACH VEREINBARUNG
     
    Als sie die Treppe wieder hinaufgingen, sagte Grazia:
    »In den letzten drei Tagen hatte ich kaum Zeit, mich auszuruhen, weil so viele Matrosen und italienische und deutsche Soldaten kamen.«
    Im ersten Stock öffnete Grazia nicht sofort die Tür, die zur zweiten Etage führte, sondern drehte sich zu Nenè um und sah ihm tief in die Augen.
    »Willst du?«
    Nenè fühlte, wie er rot wurde. Damit hatte er nicht gerechnet.
    »Wenn … du es willst.«
    Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit sich.
    »Gehen wir nicht in dein Zimmer?«
    »Nein, nicht in mein Zimmer. Das käme mir vor wie …«
    Sie öffnete die letzte Tür des Korridors und ließ ihn eintreten.
    »Dieses Zimmer wird nur in Notfällen benutzt.«
    Sie umarmte Nenè fest. Nach einer Weile fragte sie:
    »Darf ich dich auf den Mund küssen?«
    Wieso fragte sie ihn um Erlaubnis?
    »Ja, natürlich.«
    Noch nie zuvor war er so geküsst worden. Grazias Zunge erforschte seinen Mund, sie leckte und kostete ihn. Ihm schwirrte der Kopf. Während sein Blut unten schlagartig zu klopfen anfing, als wollte es

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