Die Peperoni-Strategie
mehr als 550 weiblichen und männlichen Führungskräften aus Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie einzelnen Managern aus Holland, Belgien und Frankreich. Sie alle sind auf den unterschiedlichsten Managementebenen tätig. Wir unterhielten uns am Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) für Wirtschaft und Gesellschaft in Rüschlikon bei Zürich, an der Deutschen Experten-Akademie in München, bei |70| FORUM Institut für Management in Heidelberg und am Führungskräftezentrum der Daimler AG bei Stuttgart. Meine Gesprächspartner gaben bereitwillig Auskunft über ihre Stärken und die »notwendigen Schattenseiten«, die sie für ihren Erfolg brauchten.
Die Triebfeder weiblicher wie männlicher Führungskräfte ist selten der Wunsch nach Weltverbesserung. Sie streben weit eher nach wachsendem Einfluss, Erfolg und Macht. Sie wollen an die Spitze – dieser Wunsch beseelt sie schon früh in ihrer Karriere, gleichzeitig wissen sie um die Konsequenzen: Wer Unternehmen lenkt, muss unangenehme Entscheidungen treffen, er braucht also Distanz zum Leiden anderer, um handlungsfähig zu bleiben. Mitleid, so der Philosoph Friedrich Nietzsche, vermehre nur das Leid auf dieser Welt. So verwundert es kaum, dass die Antizipationsfähigkeit, also das Nachdenken über die Folgen für die Opfer, bei Führungskräften unterentwickelt ist, etwa wenn es um Verschlankung oder Freisetzungen im Unternehmen geht. Und die Chefs, die über Einzelschicksale intensiv reflektieren, wirken angeschlagen, weil sie die Bürde der Entlassenen mittragen: »Ich habe diesen Beruf gewählt, weil ich davon träumte, Menschen eine Perspektive zu geben. Heute wickle ich nur noch ab und leide darunter, weil ich als alter Hase die Familien unserer Belegschaft ganz gut kenne und weiß, was die Entlassungen dort Verheerendes auslösen«, so der Personalchef eines international tätigen Hamburger Unternehmens.
Führen in Reinheit und Schönheit geht eben nicht. Wer führt, macht sich die Hände schmutzig, muss Mitarbeiter entlassen, Konkurrenten ausbooten. Das geht nur mit einem gewissen Maß an Aggression. Philip Rosenthal, der Begründer der Porzellandynastie, formulierte es sehr treffend: »Karriere ist ein bisschen Sein, Schein und Schwein.«
|71| Führungskräfte definieren sich gerne als omnipotent. Sie sind stolz auf ihre Flexibilität, die bis zur Beliebigkeit gehen kann: Egal ob Bauernverband oder Chemiebranche, Suppenkonzern oder Zigarettenindustrie, als Profis sind sie überall einsetzbar. Ersetzbar natürlich nie! Ganz im Gegenteil. Selbst wenn es schief läuft, wäre es ohne sie noch viel schlechter gelaufen – eine Grundhaltung, die selbst im Misserfolg Glück verspricht.
Die Flexibilität hat aber auch ihre Schattenseiten. Sie zwingt zum ständigen Umdenken und Neustrukturieren bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Kontrolle und der Macht. Das ist keine leichte Aufgabe angesichts der schnellen Veränderung von Märkten, Gesetzen, Technologien und Unternehmensstrukturen. Dies nennt man heute »Management der Zufälle« oder Kontingenz. Die Theorie der Kontingenz fordert dazu auf, sich mit dem unsicheren Verlauf der Dinge zu konfrontieren und nicht den »guten alten Zeiten« nachzutrauern. Das bedeutet, erfolgreiche Chefs akzeptieren, dass langfristige Planungen wichtig sind, aber die schnelllebige Zukunft sich nicht daran halten muss. Entsprechend formuliert der Wirtschaftsphilosoph Rainer Otte, man dürfe in der Konfrontation mit der Ungewissheit ein Gütesiegel des modernen Denkens sehen! Diese Ungewissheit zwingt zur Innovation, löst aber gleichzeitig Ohnmachtgefühle aus, denn nichts ist so ungewiss wie das Ergebnis innovativen Handelns.
Um diesem Druck zu entrinnen, bietet die menschliche Psyche der Führungskraft einen teuflisch-verführerischen Mechanismus an: Man kann nämlich der Ohnmacht vordergründig entrinnen, indem man seine Berufswelt auf das Mittelmaß zurechtstutzt, das man gerade noch verkraftet. Der Sozialphilosoph Erich Fromm spricht von der Destruktivität als Schutz vor dem Zermalmt-Werden durch neue, unüberschaubare Anforderungen. Sein Fachbegriff: »Splendid isolation«: Ich zerstöre, |72| also bin ich … großartig! Großartig, weil man immer noch so tun kann, als ob man das Gesetz des Handelns bestimmt. Diese Fähigkeit, auch die falschen Entscheidungen aufgrund der eigenen Macht durchsetzen zu können, gibt das trügerische Gefühl, Herr im eigenen Haus zu sein. Das Peter-Prinzip – benannt nach seinem
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