Die Perfekte Braut
Schwester.
»Ich glaube, er ist ebenso nervös wie wir«, meinte Chastity und steckte die Nadeln in ihre Rocktasche. »Ich hatte den Eindruck, er würde lieber eine Stunde lang um den Platz laufen, als hier im Haus herumzuhängen.«
»Das Gefühl kann ich gut nachvollziehen«, sagte Prudence. »Hast du was dagegen, wenn wir früher gehen? Das Warten macht mich wahnsinnig.«
»Nein, natürlich nicht. Ich bin in zehn Minuten fertig.« Chastity fegte hinaus, und Prudence stellte sich wieder vor den Spiegel, diesmal, um ihren Hut aufzusetzen und zum x-ten Mal die Wirkung des Schleiers zu prüfen.
Sie nahmen eine Droschke bis zum Embankment und liefen dann in den Temple Gardens auf und ab, wobei sie wenig sprachen, bis es dann Zeit wurde, sich mit Constance zu treffen. Es war ein bewölkter Tag, der Fluss war grau und träge, ein scharfer Wind wehte die letzten verbliebenen Blätter von den Bäumen. Prudence, die sich in ihren Mantel kuschelte und den Kragen aufstellte, zitterte noch immer.
»Macht dich die bevorstehende Begegnung mit ihm nervös?«, fragte Chastity plötzlich.
Prudence tat erst gar nicht, als wüsste sie nicht, was ihre Schwester meinte. »Nein, warum auch?«
»Ich weiß nicht. Ich dachte nur, es könnte ja sein.«
»Er ist unser Verteidiger, Chas. Mich macht nur der Gedanke nervös, dass er mit seiner Verteidigung scheitern könnte.«
»Ja, natürlich«, pflichtete Chastity ihr bei. »Ach, da kommt ja Con.« Sie deutete auf ihre Schwester, die über das mit Laub besprenkelte, feuchte Gras auf sie zulief.
»Bin ich spät dran?«
»Nein, wir sind zu früh. Ich habe es im Haus nicht mehr ausgehalten«, erklärte Prudence.
Constance sah ihre Schwester an. »Bist du bereit, Prue?«
Prudence wusste, dass sie nicht ihren Auftritt vor Gericht meinte. »Du bist genauso arg wie Chas. Natürlich bin ich bereit. Gideon ist unser Verteidiger. Außerdem ist er für mich nicht mehr als eine Erinnerung an eine kurze Affäre in Henley-on-Thames, über die hinwegzukommen ich zwei Wochen lang Zeit hatte. Und ihm ergeht es sicher ebenso. Gehen wir.«
Big Ben schlug neun Uhr, als sie auf der Straße vor der Tür zur Kanzlei standen. Im Gänsemarsch stiegen sie die Treppe hinauf. Die Tür am oberen Ende stand offen, Thadeus war auf den Beinen, sichtlich in Erwartung ihres Erscheinens, den Blick auf die Wanduhr geheftet.
»Guten Morgen, meine Damen.« Er verbeugte sich. »Sir Gideon erwartet Sie.«
Aber Gideon öffnete bereits die Tür zu seinem Büro. »Guten Morgen«, sagte er freundlich. »Treten Sie ein. Thadeus, bringen Sie uns Kaffee, bitte.«
Prudence wusste sofort, dass sie nichts überwunden hatte. Der Klang seiner Stimme genügte, um alle Erinnerungen wieder wachzurufen. Unbewusst straffte sie die Schultern und sagte gleichmütig: »Guten Morgen, Gideon.«
Sie gingen eine nach der anderen an ihm vorüber und nahmen die drei Plätze ein, die auf sie warteten. Gideon setzte sich hinter den Tisch, nachdem er alle mit einem raschen abschätzenden Blick gemustert hatte. Prudence sah er ein wenig länger an, und sie spürte es und widerstand dem lächerlichen Drang wegzuschauen. Stattdessen zwang sie sich, seinem Blick standzuhalten, bis er seine Aufmerksamkeit den Papieren auf dem Tisch widmete.
Er sieht müde aus, dachte sie. Fast so müde, wie sie sich fühlte.
Gideon registrierte, wie erschöpft Prudence wirkte. Er selbst war abgespannt, sie aber schien fix und fertig zu sein. Die letzten zwei Wochen waren die schlimmsten, an die er sich erinnern konnte, und das nicht nur wegen des Durcheinanders nach Harriets Auftauchen, das auch Sarah völlig aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Prudence hatte in diesem Punkt völlig Recht gehabt. Sich von Prudence fern halten zu müssen hatte zu den schwierigsten Prüfungen gehört, die er sich je auferlegt hatte. Doch hatte sie ihm ihren Wunsch klar zu verstehen gegeben. Stattdessen hatte er sich auf die Verleumdungsklage konzentriert und mehr Zeit darauf verwendet, als er im Normalfall sogar einer Sache gewidmet hätte, die ihm ein angemessenes Honorar eingebracht hätte. Prudence würde keine Gelegenheit mehr haben, seine Berufsehre in Zweifel zu ziehen.
»Verzeih, wenn ich es sage, Prudence, aber du siehst heute Morgen nicht sehr wohl aus«, bemerkte er.
»Es waren zwei anstrengende Wochen«, erwiderte sie darauf. »Ich habe nicht gut geschlafen. Und um ganz ehrlich zu sein, sind meine Nerven heute zum Zerreißen gespannt, wie du dir sicher vorstellen
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