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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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gefragt hatte. »Dann steht ihr beide, du und deine Mutter, euch wohl sehr nahe?«
    Sami beantwortete diese Frage ungewöhnlich ehrlich. »Natürlich stehen wir uns nahe. Wir hatten nur uns beide, größer war unsere Familie ja nicht. Ich respektiere meinen Vater, aber er ist eher wie ein entfernter Verwandter. Und meine Mutter … Sie ist bei aller Nähe so ganz anders als ich. Trotzdem habe ich das Gefühl, sie erwartet, dass ich wie sie bin.«
    »Wie wirst du selbst deine Kinder erziehen, Sami?«, fragte Leila. »Eine Tochter, solltest du das Glück haben? Was wirst du anders machen als deine Mutter?«
    Die Frage brachte Sami ein wenig aus der Fassung. Sie hatte keine Antwort parat. Sicher, es hatte die übliche Serie von Mutter-Tochter-Dramen gegeben, die das Aufwachsen in einer städtischen Umgebung mit sich brachte. Doch diese Konflikte schienen alle völlig normal und verständlich zu sein. Nun versetzte Sami sich zum ersten Mal an die Stelle ihrer Mutter, und ihr ging auf, dass sie die Dinge vermutlich nicht anders handhaben würde. Das verdeutlichte ihr noch einmal, wie anders das Leben der Frau verlaufen war, die neben ihr mitten im Nirgendwo unter einem Baum saß.
    Leila sprach über die Liebe – darüber, wie eine Frau weiß, dass sie den Mann getroffen hat, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen will. »Die Erkenntnis schleicht sich an dich heran«, sagte sie. »Sogar bei einer von den Eltern arrangierten Ehe. Alle Faktoren, die man für vorteilhaft hält, wenn ein Mann und eine Frau verheiratet werden sollen, lassen sich genau feststellen. Aber es gibt immer ein gewisses Etwas, das unerklärlich bleibt.«
    »Und man weiß es einfach?«
    »Irgendwann.« Leila lächelte. »Und so wächst die Familie und wird stärker.« Sie wollte Sami so gerne verständlich machen, dass die Familie, wie sie es formulierte, alles sei.
    »Das ist alles sehr schön, wenn man eine große Familie mit Sinn für Nähe hat«, erwiderte Sami. »Ich glaube, dass unsere moderne westliche Gesellschaft weder die Zeit, noch die Energie oder auch nur ein Interesse daran hat, diese Werte zu pflegen.« Doch ihr war nicht wohl bei diesem Urteil. Leilas bewegte Worte über ihre neue und ihre ehemalige Familie und deren Bedeutung für ihre eigene Identität und Zugehörigkeit stellten es zusätzlich infrage.
    Angesichts von Leilas Situation, angesichts der Art, wie diese kleine Gemeinschaft sie aufgenommen, akzeptiert und ihr geholfen hatte, überdachte Sami viele ihrer Standpunkte noch einmal. In Broome ging sie mit Aborigines um, die gebildet waren, eine Galerie führten, unter denen sich ein Jurist befand. Dann war da jemand wie Biddy. Im Kontext dieser Gemeinschaft wusste sie Biddy plötzlich besser zu schätzen. Und diese Familie, die ihre Mutter so mühelos akzeptiert hatte, war eine Realität. Samis Gefühle in diesem Punkt wurden in dem Maße schwieriger, in dem sie sich mit dem Thema auseinandner setzte.
    Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, ergriff Leila die Hand ihrer neuen Freundin. »Wirf es nicht weg, Sami. Versuch, es zu akzeptieren, und dann freu dich daran.«
     
    Sami wusste, es war an der Zeit zu fahren. Leila ebenfalls. Und sie versprach ihr nochmals, sie werde mit einer Lösung für das »Problem«, wie Leila in Australien ein neues Leben beginnen konnte, zurückkehren. Doch Leila schien es gleich zu sein, wie diese Lösung für sie aussehen würde. »Mir ist wichtig, dass du meine Geschichte glaubst. Hier, wo es so friedlich ist, wo das Land so frei, die Luft so sauber ist, an diesem Ort, den kein Krieg verbrannt hat, hier gibt es so viel, das es zu würdigen gilt. Bei diesen Frauen zu leben, ist für mich ein unglaublicher Traum.«
    »Leila, ich spreche mit meinem Cousin über deine Situation, aber ich werde dich auf keinen Fall in Gefahr bringen. In Australien gibt es nun mal Gesetze, und es ist davon auszugehen, dass man dich eines Tages findet. Du kannst doch nicht mit dieser Angst leben, unter diesem Schatten, auch wenn du das in Afghanistan so lange getan hast. Sieh doch, wie hell die Sonne scheint! Du sagst, für dich ist sie ein Symbol, ein Omen. Ich verspreche dir, Leila, hier unter dieser Kimberley-Sonne wirst du sicher sein.«
    Sami umarmte sie.
    In den langen Stunden, die sie miteinander gesprochen hatten, hatte diese Frau mit der sanften Stimme etwas in Sami geweckt, das sie nie zuvor gefühlt hatte. Es war eine Art Liebe, die sich jedoch von jeder anderen Liebe unterschied, die ihr bekannt

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