Die Perserinnen - Babylon 323
Paruschjati aufstand. „Dass das Reich der Parsa untergegangen
ist – nein du musst dich nicht entschuldigen, du hast nichts anderes gesagt als
die Wahrheit.“
Die Augen der Königinmutter öffneten sich, ein Glanz lag in
ihnen, der an Fieber erinnerte. „Nicht König Alaksanda hat unserem Reich den Todesstoß
versetzt. Wir selbst haben es getan. Es ist in dem Augenblick untergegangen, in
dem der Großkönig von seinen eigenen Gefolgsleuten in Fesseln gelegt und
ermordet wurde. Seitdem gibt es keine Treue mehr unter uns Parsa, kein
Vertrauen und keinen Zusammenhalt. Der Königsmord hat uns unsere Würde
genommen, und deshalb ist unser Reich tot. So tot, dass, selbst wenn ein Wunder
geschehen und die Fremden sich in Luft auflösen würden, als hätte es sie nie
gegeben, das Reich der Parsa niemals wieder auferstehen könnte.“
Der Tag schleppt sich quälend langsam dahin. Nicht nur im
Palast, auch in der ganzen Stadt war das Leben zum Erliegen gekommen. Wie immer
während der Mittagshitze lagen die Straßen verlassen da, doch auch später, als
es wieder kühler wurde, herrschte eine fast gespenstische Leere in ihnen. Nur
vor den Toren des Alten Palasts drängte sich eine Menschenmenge, bunt gemischt
aus Makedonen, Persern und Einheimischen. Sogar die Boote auf dem Fluss
schienen an Ort und Stelle zu verharren, bewegten sich gerade genug, um nicht
von der Strömung abgetrieben zu werden.
Paruschjati und Barsine beobachteten alles vom Palastdach
aus, auf dem sie sich unter einem Sonnensegel niedergelassen hatten. Noch mehr
Frauen saßen in einiger Entfernung von ihnen, das ganze Dach war trotz der
Hitze überfüllt. Der Neue Palast stand auf einer hohen Terrasse, sodass sie
einen guten Blick über den Alten Palast und seine Höfe hatten. Paruschjati sah
kurz auf zum Himmel, der seit dem Vormittag bedeckt war. Von Westen waren immer
mehr Wolken herangezogen. Zwei Monate lang, während der Himmel Tag für Tag in
makellosem Blau erstrahlte, hatten sich alle nach Wolken gesehnt. Nun, wo sie
endlich gekommen waren, achtete niemand auf sie.
Eine Zeitlang hatten sie sich halblaut unterhalten, doch
nach und nach war das Gespräch ins Stocken geraten und schließlich ganz
verstummt. Die Wolken würden weder Regen bringen noch eine kühle Brise,
erkannte Paruschjati. Die Luft war stickig und roch nach Staub, die Atmosphäre
war so drückend wie die Stimmung der Frauen, die auf dem Dach vor sich
hinbrüteten.
„Warum hat er dich nie geheiratet?“
Barsine schreckte aus ihren Gedanken auf. „Was?“
Paruschjati wiederholte die Frage nicht, aus Furcht, ihre
Freundin verletzt zu haben. Sie hatte bisher nie gewagt, danach zu fragen.
„Es hat sich nicht ergeben“, sagte Barsine schließlich. „Die
Zeit war nie richtig dafür. Als Alexander und ich einander vor Tyros
wiederbegegneten, war eine Heirat undenkbar. Eine Perserin, eine
Kriegsgefangene, noch dazu zweimal verwitwet und mit Kindern aus ihren früheren
Ehen – das wäre für die Makedonen unzumutbar gewesen.“
Barsine lächelte, es war ein selbstbewusstes und zugleich
ironisches Lächeln, wie es für sie so charakteristisch war. Paruschjati
erwiderte es erleichtert. „Wahrscheinlich hätte die Armee gemeutert.“
„Mit Sicherheit sogar!“ Barsine wurde wieder ernster. „Ich
glaubte damals, keine Kinder mehr bekommen zu können, denn meine letzte Geburt
war sehr schwer gewesen. Wozu dann heiraten? Außerdem wusste ich immer, dass Alexander
eines Tages eine Tochter Darajavahuschs heiraten würde oder sogar beide. Das
musste er, wenn er seinen Anspruch auf den Thron des Großkönigs in den Augen
der Perser untermauern wollte.“
„Warum hat er dann ein paar Jahre später ausgerechnet Raukschana
zur Frau genommen?“
Barsine zuckte die Achseln. „Die Lage war inzwischen eine
andere. Nach Darajavahuschs Tod waren viele persische Adlige zu Alexander
übergegangen und lebten nun an seinem Hof. Persische Satrapen waren in ihrem
Amt bestätigt worden. Die Hochzeit mit Raukschana war ein Signal für die Arija
in Baktrien: Alexander zeigte ihnen Respekt, indem er Raukschana nicht einfach
zu seiner Konkubine machte, wie es durchaus in seiner Macht gestanden hätte,
sondern zu seiner rechtmäßigen Gemahlin. Aber das war nur die halbe Wahrheit.“
Wieder das ironisch-distanzierte Lächeln. „Hinzu kam, dass Alexander sich
tatsächlich in Raukschana verliebt hatte.“
„Ich dachte immer, das sei ein romantisches Märchen.“
„Nein, es war wirklich so.
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