Die Perserinnen - Babylon 323
Alexander, unser König, war mehr als ein Mensch! Die
Götter selbst haben ihn zu uns geschickt. Nun, da er sein Schicksal erfüllt
hat, haben sie ihn in ihren Kreis zurückberufen. Uns bleibt die Pflicht, seiner
sterblichen Hülle nach Sitte unserer Väter die letzte Ehre zu erweisen.“
Lautes Wehklagen hatte sich erhoben und hallte in der
ausgeklügelten Akustik des Saales wider. Perdikkas wartete ab, doch als die
Klagerufe nicht leiser werden wollten, forderte er wieder mit einer
Handbewegung Ruhe. In einer theatralischen Geste zog er den königlichen
Siegelring vom Finger und hielt ihn in die Höhe.
„Während seiner Krankheit hat mir unser König seinen
Siegelring anvertraut, damit ich für das Reich Sorge trage, solange er selbst
es nicht kann. Nun ist er von uns gegangen, und ich gebe diesen Ring zurück!“
Er legte den Ring neben das Diadem auf den Thron. „Roxane, Alexanders Gemahlin,
ist im achten Monat schwanger. Falls sie einem Sohn das Leben schenkt, ist er
der rechtmäßige Erbe seines Vaters. Ihr habt nun zu entscheiden, wer uns führen
soll, bis der neue König erwachsen ist und es selbst tun kann.“
Perdikkas stieg von dem Podest und nahm wieder seinen Platz
in der Reihe der Leibwächter ein, während seine Anhänger überall im Saal zum
Zeichen ihrer Zustimmung mit den Schwertern auf ihre Schilde schlugen. Einige
andere schlossen sich ihnen an, doch die meisten blieben abwartend. Es gab
sogar empörte Zwischenrufe. Viele wollten sich nicht damit abfinden, dass
Perdikkas sie vor vollendete Tatsachen zu stellen versuchte.
Mitten in dem Getöse drängelte sich Nearchos nach vorn und
ergriff das Wort. „Warum sollen wir auf einen Erben warten, der noch nicht
einmal geboren ist? Zumal Alexander bereits einen Sohn hat: Herakles, den Sohn
Barsines. Selbst wenn Roxane einen gesunden Jungen zur Welt bringen sollte,
bliebe Herakles der älteste Sohn des Königs. Er ist der rechtmäßige Thronerbe!“
Dem aufbrausenden Lärm nach zu urteilen, fand Nearchos’
Vorschlag wenig Gegenliebe. „Wer weiß, ob er überhaupt Alexanders Sohn ist“,
rief jemand aus der Menge. „Der König hat Barsine niemals offiziell zur Frau
genommen.“
Nearchos brüllte zurück: „Alexander hat Herakles anerkannt!
Er hat ihm sogar den Namen seines Ahnherrn gegeben!“
Schließlich meldete sich Ptolemaios zu Wort. „Ob nun ein
Sohn Roxanes oder Barsines – was macht das für einen Unterschied? Beide Frauen
sind Perserinnen, und ihre Söhne sind zur Hälfte Perser. Wollt ihr, dass ein
König von halb barbarischer Herkunft über euch und eure Kinder herrscht? Nicht
dafür haben wir Makedonen so viele Jahre gegen die Perser gekämpft! Nicht
deshalb haben unsere Vorfahren ihre Freiheit so heldenhaft gegen den Ansturm
der Barbaren verteidigt, damit wir uns ausgerechnet im Augenblick des Triumphes
selbst zu Sklaven erniedrigen!“
„So ein Dreckskerl!“, sagte Barsine leise. „Ich wusste
immer, dass ich ihm nicht trauen kann.“
Inzwischen erhielt Ptolemaios von allen Seiten lebhaft
Zustimmung. „Wir wollen keinen Barbaren als König!“ – „Lasst uns in Ruhe mit
den persischen Schlampen und ihren Bastarden!“
Doch Nearchos gab sich nicht geschlagen. „Herakles ist kein
Barbar, er ist Alexanders Sohn! Und seine Mutter ist zur Hälfte Griechin!“
„So viel Mumm hätte ich ihm gar nicht zugetraut“, flüsterte
Barsine.
„Wir wollen auch keinen Griechen zum König“, brüllte einer,
und ein anderer rief: „Der Kerl ist doch selbst Grieche! Er ist kein Makedone,
was hat er in unserer Versammlung zu suchen?“ – „Schmeißt den Griechen raus!“
Nearchos war rot angelaufen und brüllte: „Ich bin Nearchos,
Kommandant der Reichsflotte und Alexanders Freund von Kindesbeinen! Ich habe in
seinem Auftrag den Seeweg von Indien entdeckt, ich sollte für ihn Arabien
umsegeln …“
„Raus mit ihm“, johlte die Menge.
Ein paar Offiziere, darunter Seleukos, versuchten die Wogen
zu glätten, indem sie Nearchos unter den Armen packten, ihn mit sanfter Gewalt
aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit schleiften und erst ein ganzes Stück
entfernt wieder absetzten. Schwer atmend nestelte der Flottenchef an seinen
verrutschten Kleidern und warf einen wütenden Blick zu Eumenes, der sich
unauffällig im Hintergrund hielt. Eumenes war ebenfalls Grieche, hatte aber
offenbar nicht die Absicht, seinem Landsmann zu Hilfe zu eilen oder sich für
den Neffen seiner Frau einzusetzen.
Inzwischen bemühte sich Ptolemaios, die
Weitere Kostenlose Bücher