Die Perserinnen - Babylon 323
als
habe er sich verschluckt, dann brach es ab. Verwundert wandte Paruschjati sich
um, gerade noch rechtzeitig. Etwas schoss auf sie zu, wie ein Raubvogel auf
seine Beute herabstößt. Instinktiv wich sie aus, verlor das Gleichgewicht und
stolperte nach hinten. Der Raubvogel kam zurück – sie konnte den Luftzug spüren
–, doch dank ihrem Straucheln verfehlte er sie auch diesmal.
Nicht hinfallen, nur nicht hinfallen, dachte sie
verzweifelt. Sie schaffte es nicht, prallte hart auf ihr Hinterteil. Hektisch
mit den Armen rudernd, rutschte sie nach hinten, bis sie hinter dem gemauerten
Herd in der Mitte der Küche Zuflucht fand. Das fast erloschene Feuer darauf
tauchte den Raum in diffuses Licht. Sie kam wieder auf die Beine.
Es war Artaschura. Der junge Eunuch hatte eine leicht
geduckte Haltung eingenommen, in seiner ausgestreckten Hand glänzte ein langer
Dolch. Paruschjati konnte Blut an der Klinge erkennen, Farnakias Blut.
Artaschuras Augen schimmerten im Feuerschein, sie waren ohne Ausdruck. Auch
sein weiches, bartloses Gesicht war regungslos, keinerlei Hass lag darin oder
auch nur Anspannung.
Paruschjati widerstand dem Impuls, um Hilfe zu rufen. Sie
wusste, niemand würde sie hören. Die unverschlossene Tür, Petisakas
Abwesenheit, Artaschuras feiger Anschlag – all das waren nur Hinweise, dass
während ihrer Abwesenheit in ihren Gemächern weit Schlimmeres geschehen sein
musste. Nicht daran denken! Konzentriere dich darauf zu überleben!
„Du wusstest Bescheid“, sagte sie, um ihn abzulenken.
Er antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. Also
deshalb hatte er so irritiert gewirkt: Er hatte gewusst, dass die Mörder in der
Nacht kommen würden – und dass Paruschjati nicht da sein würde. Vielleicht war
es seine Aufgabe gewesen, ihnen die Tür zu öffnen. Nun war er entschlossen, es
selbst zu Ende zu bringen.
„Also du bist der Verräter!“, fuhr sie fort. „Du hast mir
das Gift gegeben, nicht Ischna. Hat sie dich dabei beobachtet? Hast du sie
beseitigt, damit sie nicht reden konnte? Oder war sie nur ein willkommener
Sündenbock?“ Wahrscheinlich trieb die Leiche des unglücklichen Kammermädchens
längst irgendwo im Euphrat.
Artaschura erwiderte immer noch nichts, starrte sie nur mit
leeren Augen an, ruhig und konzentriert. Langsam kam er näher. Unwillkürlich machte
Paruschjati einen Schritt nach hinten, wo sie mit dem Rücken gegen ein
Hindernis stieß, einen Tisch vielleicht oder ein Regal. Die Hand, mit der sie
sich abstützte, griff in etwas Hartes, Kaltes, sie spürte einen schneidenden
Schmerz und warme Feuchtigkeit. Eine Messerklinge, rutschig von ihrem eigenen
Blut. Trotz des Schmerzes umfasste sie sie fest und glitt dann um die nächste
Herdecke, ehe Artaschura sie erreichen konnte.
Hinter ihrem Rücken bewegte sie das Messer, bis sie den
Griff zu fassen bekam. Gleichzeitig nahm sie aus dem Augenwinkel die Tür wahr,
die ins Innere ihrer Gemächer führte. Nicht daran denken, was hinter ihr
lag! Die Tür bot keinen Fluchtweg, das Küchenmesser war ihre einzige
Chance. Sie fasste den Griff fester, er fühlte sich gut an.
Artaschura glitt um die Eckes des Herdes und kam näher.
Schritt für Schritt wich sie vor ihm zurück, während sie fieberhaft nachdachte.
Sie wusste, sie musste einen Weg finden, ihn zu überrumpeln. Sie durfte nicht
zulassen, dass er sie im Kreis durch die Küche trieb. Dann würde sie irgendwann
das Glück verlassen, und er würde sie erwischen.
Sie ließ sich von ihm zurücktreiben, Schritt für Schritt.
Und dann drehte sie sich um. Flink wie ein Wiesel schoss sie um die Ecke, an
der Schmalseite des Herdes entlang und wieder um die Ecke. Sie wusste, hier
musste irgendwo Farnakias Leiche liegen. Sie machte einen Satz, von dem sie
hoffte, dass er lang genug ausfallen würde. Ihr langes, weites Gewand
behinderte sie, doch noch in der Landung drehte sie sich und schwang das Messer
von unten nach oben. Gerade noch rechtzeitig. Artaschura war ihr schon
erschreckend nahe gekommen, als er über die Leiche stolperte. Er fiel
Paruschjati vor die Füße. Genau in das erhobene Messer.
Im Fallen riss er sie mit sich. Sie befreite sich und kam
schnell wieder auf die Beine. Seine Hand mit dem Dolch prallte auf den
gefliesten Boden. Sie trat darauf und hörte ein hässliches Knacken. Mit einem
weiteren Tritt beförderte sie die Waffe aus seiner Reichweite.
Schwer atmend blickte sie auf den Eunuchen hinab. Er lag auf
dem Rücken, der Griff des Küchenmessers ragte aus
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