Die Perserinnen - Babylon 323
hatten,
während der König im Osten Krieg führte, hatten Damaspia gutgetan. Sie hatte
ein zurückgezogenes, aber zufriedenes Leben geführt, ohne sich an Klatsch und
Intrigen zu beteiligen, wie sie unvermeidlich waren in einem Palast voller
Frauen, deren Leben von äußerer Einförmigkeit, zugleich jedoch von Unsicherheit
und Entwurzelung geprägt war. Damaspias Interesse galt einzig und allein ihren
Töchtern: Frataguna, die mit ihrer Familie jedes Jahr zum Neujahrsfest nach
Susa kam, und Paruschjati. Doch eines Tages waren Damaspias Kräfte verbraucht.
Sie war schmäler und schmäler geworden, hatte immer wieder innehalten und sich
setzen müssen. Seit Beginn des Herbsts musste sie nun das Bett hüten, und jeder
wusste, dass sie es nicht mehr lebend verlassen würde.
Mannuja war aufgestanden und goss aus einer Kanne Wasser in
einen Becher. Paruschjati nahm ihn und setzte ihn ihrer Mutter an die Lippen,
während die alte Kammerfrau vorsichtig ihren Oberkörper stützte.
Als sie getrunken hatte, fragte Paruschjati: „Was hast du
gemeint: damals in Tyros?“
Damaspia hatte sich in die Kissen zurücksinken lassen.
„Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem man uns als Gefangene vor den König
der Eindringlinge führte? Wir wussten nicht, was uns erwartete. Alle anderen
waren wie gelähmt vor Furcht, doch du hattest als Einzige den Mut, mit dem
Feind zu sprechen. Du hast verlangt, dass wir unserem Rang gemäß behandelt
werden sollten.“
„Ich war noch ein Kind und habe nicht nachgedacht.“
Paruschjati dachte nur selten an den Vorfall zurück. Später war ihr Verhalten
ihr kindisch und unreif erschienen, eine Reaktion auf Statiras und Amaschtris
ständiges Gestichel.
„Nein, du hast richtig gehandelt“, sagte Damaspia schwer
atmend. „Unsere Familie hatte so Schreckliches durchgemacht, deshalb wollte ich
mich wie eine Maus in der Dunkelheit verkriechen. Sogar meinen Töchtern wollte
ich ein solches Leben zumuten. Doch du sagtest, man könne nicht sein ganzes
Leben geduckt verbringen aus Angst vor der Vergangenheit … nein, Parmusch hat
es zuerst gesagt, aber du hattest als Einzige den Mut, danach zu handeln. Und
du hast recht gehabt, das weiß ich jetzt.“
Damaspia fuhr mit der Zunge über ihre rissigen Lippen.
Paruschjati beugte sich über sie und tupfte ihr den Mund mit einem feuchten
Tuch ab.
„Er wird dich heiraten“, sagte Damaspia plötzlich.
„Wer? Der König?“ Paruschjati ließ sich von Mannuja ein
anderes feuchtes Tuch geben und legte es ihrer Mutter auf die Stirn. „Er ist
weit weg. In Indien, heißt es.“
„Eines Tages wird er zurückkommen, und dann wird er eine
Königin brauchen.“
„Er hat schon eine Frau, eigentlich sogar zwei, und wenn er
noch einmal heiratet, dann sicherlich Statira.“
„Vielleicht. Wahrscheinlich. Aber ein König braucht eine
kluge und starke Gemahlin, die ihm einen würdigen Erben schenkt.“ Auch auf dem
Totenbett brachte Damaspia es nicht fertig, schlecht über andere zu reden,
nicht einmal über Statira. „Wenn es so weit ist, dann nimm dein Schicksal mutig
an und erfülle deine Pflicht. Aber lass dich nicht von Ehrgeiz oder Hochmut
verführen. Denke immer daran, dass das Glück sich von einem Tag zum anderen
wenden kann, und habe trotzdem den Mut, dein Leben zu leben! Ich weiß, dass du
die Kraft dazu hast. Mit diesem Wissen fällt es mir leichter, dich allein zu
lassen.“
Damaspia schloss die Augen und fasste nach Paruschjatis
Hand, und sie nahm die Hand ihrer Mutter und drückte sie an ihre Lippen. „Sag
so etwas nicht. Du musst kämpfen.“ Sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen
stiegen.
„Nein, mein Kampf ist vorüber. Paruschjati – ‚die viel Glück
hat‘. Erinnerst du dich, wie wir beide vor den Mauern von Schuscha im Staub der
Straße lagen? An das, was ich damals zu dir gesagt habe?“ Damaspia öffnete die
Augen und sah Paruschjati an. „Ich sagte dir, dass du deinen Namen zu Recht
trägst. Du hast den Tod dreier Könige überlebt, du wirst auch alles andere
überstehen. Auch das macht mir den Abschied leichter. Möge Ahura Mazda dich
beschützen.“
Damaspia schloss die Augen wieder und lächelte. Ihr Atem
ging nun ruhiger und gleichmäßiger, ihr Gesicht wirkte friedvoll. Nach einiger
Zeit flüsterte sie mit geschlossenen Augen: „Lass dich nicht zu sehr von
Aspamithra herumkommandieren.“
Das waren ihre letzten Worte, bevor sie in den frühen
Morgenstunden einschlief und nicht mehr aufwachte.
Babylon, 6.
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