Die Perserinnen - Babylon 323
unterwegs, doch sie gab nicht auf. Einmal glaubte sie, hinter sich
Schritte zu hören, während sie einem verlassenen Korridor folgte. Sie beschleunigte,
bog um eine Ecke und wartete. Nichts. Vielleicht hatte sie sich geirrt.
Die Hitze wurde unerträglich. Der Schweiß rann ihr in
Strömen von der Stirn, sie hatte Durst und die Füße taten ihr weh. Trotzdem war
sie erstaunt, überhaupt noch auf den Beinen zu sein – noch vor ein paar Tagen
hatte sie bewusstlos im Bett gelegen. Im nächsten Hof stieß sie auf einen
Brunnen. Mit einem Freudenschrei lief sie hinüber und beugte sich über die
gemauerte Einfassung. Der Brunnen war trocken.
Enttäuscht und erschöpft setzte sie sich auf die Umrandung
und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Fliegen summten umher. Paruschjati
schlug nach ihnen und starrte auf die Ziegelmauer, die den Hof auf einer Seite
abschloss. Sie musste zur Außenmauer des Palasts gehören. Unmittelbar hinter
ihr, für Paruschjati unerreichbar, lagen die Gärten.
Es war hoffnungslos. So würde sie nie einen Ausweg finden,
sie musste warten, bis wieder mehr Leute unterwegs waren, und dann versuchen,
den Menschenströmen zu folgen und sich zu einem Ausgang führen zu lassen.
Paruschjati schlug wieder nach den Fliegen. Es wurden immer mehr, ihr
aufdringliches Brummen zerrte an ihren Nerven. Die Fliegen schienen aus dem
Brunnenschacht zu kommen. Neugierig drehte Paruschjati den Kopf und blickte in
die dunkle Öffnung hinab. Dort unten schimmerte etwas, aber es war kein Wasser.
Es glänzte eher wie … Gold.
Gold? Paruschjati stand auf und beugte sich über die
Brunnenöffnung. Ein Schwarm von Fliegen kam ihr entgegen, dann begannen ihre
Augen, sich an das Dunkel zu gewöhnen. Dort unten lag etwas, es sah aus wie ein
Bündel aus Stoff … Stoff, der mit Gold bestickt war. Und dann wurde ihr
schlagartig klar, was sie sah, und ihr Herz begann zu rasen.
Im nächsten Augenblick legte sich von hinten ein Arm um
ihren Hals und riss sie zurück. Sie wehrte sich verzweifelt, doch der Griff
lockerte sich nicht, er würgte sie, bis ihr schwarz vor Augen wurde.
„Willkommen zurück im Reich der Lebenden“, sagte eine
melodische Stimme. „Und sei es auch nur für kurze Zeit.“
Vorsichtig öffnete Paruschjati die Augen. Glücklicherweise
war es dämmrig, denn mehr Licht hätte ihr schmerzender Kopf nicht ertragen. Von
rechts kam ein schwacher Lichtschein. Sie drehte vorsichtig den Kopf und sah in
einiger Entfernung eine Öllampe auf dem Boden stehen. Neben ihr saß eine
Gestalt im Schneidersitz.
Auf Bagauvas Gesicht lag ein gehässiges Grinsen.
Paruschjati stöhnte auf. Das heißt, sie hätte gestöhnt, wenn
nicht ein widerlich trockenes Knäuel in ihrem Mund jedes Geräusch erstickt
hätte. Sie versuchte, sich aufzurichten, nur um festzustellen, dass ihre Hand-
und Fußgelenke mit Stricken zusammengeschnürt waren. Hilflos wand sie sich in
den Fesseln, dann gab sie auf und ließ sich wieder zurücksinken.
Bagauva stand auf und kam zu ihr herüber. Fast erwartete
sie, dass er ihr einen Tritt versetzte, doch stattdessen machte er eine
übertrieben tiefe Verbeugung. „Banuka!“ Höhnisch blickte er auf sie herab. „Ein
bemerkenswerter Anblick: Eine Königin, die als Dienerin verkleidet durch den
Palast irrt, verschwitzt und schmutzig. Besonders den Auftritt mit dem Korb
fand ich amüsant. Ja, ich bin dir schon seit einiger Zeit auf den Fersen, ohne
dass du mich bemerkt hast. Vielleicht bist du doch nicht so schlau, wie du
immer dachtest.“
Anfangs hatte seine Stimme wie üblich geklungen, arrogant
und herablassend, doch gegen Ende brach offener Hass durch die Oberfläche. Er
bückte sich und starrte ihr ins Gesicht.
„Auf jeden Fall nicht schlau genug, um einen Weg aus dem
Palast zu finden! Die meisten halten dich für tot, aber deine Feinde wissen
natürlich, dass du noch lebst. Sie suchen überall nach dir. Es wird nicht lange
dauern, bis sie dich finden, und dann werden sie zu Ende bringen, was sie
vermasselt haben.“ Inzwischen hatte er seine Stimme wieder unter Kontrolle. Er
sprach beiläufig, wie bei einer gepflegten Unterhaltung zwischen
Spaziergängern, die einander in den Gärten begegneten. „Zu schade! Dabei wüsste
ich vielleicht einen Weg nach draußen. Wie wäre es, wollen wir uns darüber
unterhalten? Ach nein, das geht ja nicht, du hast ja diesen dreckigen Fetzen im
Mund.“ Seine Augen glitzerten boshaft. „Was meinst du, soll ich ihn dir
herausnehmen?“
Obwohl sie wusste, wie
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