Die Perserinnen - Babylon 323
der Übelkeit verschont geblieben, sehr zu Mannujas
Enttäuschung, und obwohl Paruschjati sich so gut fühlte wie lange nicht mehr,
machte sie sich Sorgen, weil immer noch keine Nachrichten aus dem Sommerpalast
kamen.
Barsine warf einen Blick zu Stratokles und Ilioneus, die in
einer Ecke des Innenhofes herumlungerten. „Ihr beide hattet doch gestern Dienst
im Sommerpalast. Wisst ihr etwas?“
„Gestern ging es dem König besser“, versicherte Stratokles.
„In der Nacht davor hatte er Fieber, aber gestern Nachmittag konnte er
aufstehen und hat sogar eine Zeitlang mit Medios Würfel gespielt.“
„Was ist mit dem Feldzug?“, fragte Paruschjati. „Soll er
verschoben werden?“
„Unsinn!“, erwiderte Ilioneus. „Für heute Vormittag ist
sogar ein Offizierstreffen geplant, auf dem es letzte Instruktionen geben
soll.“
„Siehst du“, sagte Barsine zu Paruschjati. Herakles hatte
sich inzwischen wieder beruhigt, und sie wischte ihm mit dem Ärmel ihres
Kleides über das verheulte Gesicht. „Es ist alles in Ordnung.“
„Das war gestern, aber wer weiß, wie es dem König heute
geht.“
Der kindliche Wutausbruch war so schnell vorüber, wie er
gekommen war. Herakles drehte sich um und fegte davon, gefolgt von seinem
genervten Kindermädchen. „Also schön“, sagte Barsine und richtete sich mit
einem Seufzen auf. „Wir fahren hin und überzeugen uns selbst.“
„Hinfahren? Wohin?“
„Zum Sommerpalast.“
„Einfach so?“
„Warum nicht?“
Das war typisch Barsine. Man ging nicht „einfach so“ zum
König, es sei denn man hatte ein spezielles Anliegen. Ansonsten wartete man,
bis man zu ihm zitiert wurde. Aber Barsine war eben immer für unkonventionelle
Vorgehensweisen gut. „Vormittags ist das Offizierstreffen“, fuhr sie fort. „Wir
machen uns am besten am späten Nachmittag auf den Weg, gleich wenn die
schlimmste Hitze vorbei ist.“ Sie wandte sich an Ilioneus und Stratokles. „Ihr
zwei organisiert uns eine Mitfahrgelegenheit auf einem Schiff. Wir legen keinen
Wert auf Hitze und Straßenstaub.“
„Eumenes wollte am Nachmittag mit einem Haufen Papyros-Kram
zum Sommerpalast fahren“, sagte Stratokles.
„Fantastisch!“ Eumenes, der königliche Kanzleichef, war mit
Barsines Schwester Artaunisch verheiratet. Seine Aussichten, sich gegen die
innerfamiliäre Inanspruchnahme zu behaupten, waren vermutlich gering. „Geht und
sagt ihm Bescheid, dass wir mitkommen.“
Eumenes wartete bereits ungeduldig an der Anlegestelle,
während seine Assistenten mehrere Holztruhen, vermutlich voller wichtiger
Dokumente, auf das Schiff schaffen ließen. Es war eher ein Boot als ein Schiff,
mit einem großen, im Augenblick schlaff herabhängenden Segel (es regte sich
kein Lüftchen) und einem offenen Verdeck, auf dem die Rudermannschaft der
prallen Sonne ausgesetzt war.
Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war der
Kanzleichef alles andere als erbaut. „Ich habe mich breitschlagen lassen, euch
einen Gefallen zu tun, aber für eure Heerscharen von Eunuchen und Dienerinnen
habe ich beim besten Willen keinen Platz.“ Er warf einen säuerlichen Blick auf
das kopfstarke Gefolge der beiden Frauen, das sich, mit Sonnenschirmen und
Fächern bewaffnet, vor dem Landesteg staute.
„Kein Problem“, sagte Barsine und steuerte an ihrem Schwager
vorbei auf den Landesteg zu. „Wir werden uns ein wenig einschränken.“
Paruschjati schickte alle weg außer Faiduma, Mannuja, Ischna
und zwei Eunuchen, während Barsine sogar mit nur zwei Dienerinnen auszukommen
glaubte. Vermutlich würde Aspamithra nachträglich eine Szene machen, sobald er
erfuhr, dass Paruschjati ohne standesgemäßes Gefolge zum Sommerpalast
aufgebrochen war.
Als sie Barsine zum Landesteg folgte, fiel ihr ein Mann auf,
der in einiger Entfernung auf dem Kai stand und wie ein Grieche gekleidet war.
Kein Offizier und, seiner schäbigen Aufmachung nach zu urteilen, auch kein
Mitglied des Hofstaats. Als er Paruschjatis neugierigen Blick bemerkte, setzte er
ein gewinnendes Grinsen auf und trat hoffnungsvoll näher.
„Die Palasttore öffnen sich und geben ihre glanzvollsten
Schätze preis“, säuselte er, „zwei Damen, die ebenso vornehm sind wie schön!“
Eumenes gab den Schildträgern ein Zeichen, die sich dem Unbekannten
sofort drohend näherten. Dieser trat die Flucht nach vorn an, indem er noch
näher trat. „Ich bin ein reisender Gelehrter, wissbegierig und gebildet, aber
mittellos, wie alle Angehörigen meines Berufsstands. Im
Weitere Kostenlose Bücher