Die Perserinnen - Babylon 323
„Was
haltet ihr von dem mysteriösen Vorfall auf dem Bankett bei Medios neulich?“
„Was für ein Vorfall?“, fragte Paruschjati, sofort hellhörig
geworden.
„Es heißt, dass Alexander an diesem Abend ziemlich viel
getrunken hat.“
„Das dürfte wohl kaum etwas Bemerkenswertes sein“, schaltete
sich Barsine ein.
„Nein, aber diesmal muss er es besonders schlimm getrieben
haben.“ Ephippos beugte sich vor und senkte die Stimme. „Es heißt, als er
gerade einen Herakles-Becher in einem Zug geleert hatte, sei er umgefallen wie
ein Sack. Seine Freunde mussten ihn zurück in seine Gemächer tragen.“
„Das ist völliger Unsinn“, erklärte Eumenes mit
Entschiedenheit. „Alexander hat Medios’ Quartier auf eigenen Füßen verlassen.“
„Woher willst du das wissen?“
„Weil ich dabei war!“
„Tatsächlich?“ Ephippos rückte näher an Eumenes heran, der
unwillkürlich auf Distanz ging. „Was ist an diesem Abend genau geschehen?“
„Nichts Außergewöhnliches. Es wurde ausgiebig gefeiert und
ebenso ausgiebig getrunken.“
„Tja, die Makedonen können beim Trinken einfach nicht Maß
halten. Anders als wir Griechen trinken sie den Wein gern unvermischt. Meistens
sind sie schon beim ersten Gang so betrunken, dass sie die leckeren Speisen gar
nicht mehr genießen können.“
„Wo du recht hast, hast du recht.“ Eumenes war ebenfalls
Grieche, und wie die meisten seiner Landsleute hatte auch er keine besonders
hohe Meinung von den Makedonen. Vielleicht war das der Grund, warum er
gegenüber seinem Landsmann nun ein wenig auftaute. „Tatsächlich waren die
meisten unserer Kriegshelden ziemlich schnell betrunken.“
„Alexander selbst auch, oder?“
Eumenes schnappte zu wie eine Auster. „Keineswegs! Er war
nüchtern genug, um eine Szene aus Euripides’ Andromeda aus dem Gedächtnis zu
rezitieren. Im Übrigen wollte er sich gerade zurückziehen, als plötzlich Medios
auftauchte und ihn und ein paar Freunde in sein Quartier einlud. Also haben wir
bei Medios noch ein bisschen weitergefeiert.“
„Und wie war das mit diesem Becher Wein, den der König in
einem Zug geleert hat?“
„Alles halb so wild. Du weißt ja, wie die Makedonen sind:
Sie fordern sich gegenseitig zum Trinken heraus. Einer legt vor, und der
Herausgeforderte muss nachziehen, wenn er nicht als Schlappschwanz dastehen
will. Der König ließ sich einen Herakles-Becher bringen …“
„Einen Herakles-Becher?“, unterbrach Paruschjati den
Bericht.
„Eine bestimmte Art von Trinkgefäß. Der Sage nach pflegte
Herakles aus einem solchen Becher zu trinken. Der Durst des Halbgottes war
nicht weniger groß als seine Taten – entsprechend hat man sich das
Fassungsvermögen seines bevorzugten Trinkgefäßes vorzustellen. Alexander leert
also einen solchen Herakles-Becher in einem Zug und fordert Proteas heraus. Der
nimmt die Herausforderung an und leert den Becher ebenfalls in einem Zug.“
Paruschjati kannte Proteas nicht persönlich, wusste aber,
dass er einer der ältesten Freunde des Königs war. Trotz seiner Beziehungen
nach ganz oben hatte er es karrieremäßig nicht weit gebracht, denn er verfügte
weder über militärische noch sonstige nennenswerte Fähigkeiten. Mit einer
Ausnahme: Er war dafür berüchtigt, erstaunliche Mengen Wein in sich hineinschütten
zu können.
Eumenes setzte seinen Bericht fort. „Die Anwesenden
applaudieren. Proteas lässt den Becher wieder füllen und leert ihn ein zweites
Mal, wieder in einem Zug. Nun ist Alexander dran mit Nachziehen. Er setzt an,
schafft es aber nicht, den Becher zu leeren. Er muss passen.“
„Es heißt, der Becher fiel ihm aus der Hand und er selbst
rückwärts auf seine Speiseliege“, sagte Ephippos. „Danach soll er von seinen
Freunden hinausgetragen worden sein.“
„Völlig übertrieben“, beteuerte Eumenes. „Der König setzte
sich einfach wieder hin. Später ging er ganz normal in seine Gemächer. Niemand
musste ihn tragen.“
Ephippos musterte Eumenes mit zusammengekniffenen Augen.
„Eumenes, du verschaukelst mich doch! Seit dem Vorfall ist der König krank,
kaum jemand hat ihn danach noch zu Gesicht bekommen. Und alles von einem Becher
Wein, den er angeblich nicht einmal ausgetrunken hat? Da muss doch mehr
dahinterstecken!“
Eumenes’ Gesicht lief rot an. „Was willst du damit
andeuten?“
„Na, dass sich der König an diesem Abend wieder einmal
sinnlos betrunken hat, was sonst? Das ist doch nichts Neues. In Griechenland
gibt es inzwischen
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