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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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sonst niemanden in dieser Stadt, und der Korrespondent meiner Zeitung hat das Pech, ein Schwachkopf zu sein.»
    Rieux schlug ihm vor, mit ihm bis zu einem Ambulatorium im Stadtzentrum zu gehen, da er dort einige Anweisungen geben müsse. Sie gingen die Gassen des Schwarzenviertels hinunter. Der Abend nahte, aber die früher um diese Zeit lärmende Stadt wirkte seltsam verlassen. Ein paar Trompetensignale am noch goldenen Himmel zeugten lediglich davon, dass das Militär so tat, als gehe es seiner Arbeit nach. Während der ganzen Zeit, in den steilen Straßen, zwischen den blauen, gelbbraunen und violetten Wänden der maurischen Häuser, redete Rambert sehr erregt. Er hatte seine Frau in Paris zurückgelassen. Eigentlich war sie nicht seine Frau, aber es war dasselbe. Er hatte ihr sofort telegraphiert, als die Stadt geschlossen wurde. Er hatte zuerst geglaubt, es handle sich um etwas Vorübergehendes, und hatte nur versucht, ihr zu schreiben. Seine Kollegen in Oran hatten ihm gesagt, sie könnten nichts für ihn tun, die Post hatte ihn abgewiesen, eine Sekretärin in der Präfektur hatte ihn ausgelacht. Schließlich hatte er nach zweistündigem Schlangestehen erreicht, dass ein Telegramm angenommen wurde, in dem er geschrieben hatte: «Alles in Ordnung. Auf bald.»
    Aber morgens, beim Aufstehen, war ihm plötzlich der Gedanke gekommen, dass er ja gar nicht wusste, wie lange das dauern konnte. Er hatte beschlossen abzureisen. Da er eine Empfehlung vorweisen konnte (in seinem Beruf hat man Erleichterungen), war er zum Amtsleiter der Präfektur vorgedrungen und hatte ihm gesagt, dass er keine Beziehung zu Oran habe, dass es nicht seine Sache sei zu bleiben, dass er zufällig hier sei und es recht und billig wäre, wenn man ihm erlaubte zu gehen, auch wenn er sich draußen dann einer Quarantäne unterziehen müsste. Der Amtsleiter hatte gesagt, er verstehe ihn sehr gut, aber man könne keine Ausnahme machen, er werde sich erkundigen, aber die Situation sei schließlich ernst, und man könne nichts entscheiden.
    «Aber ich bin doch fremd in dieser Stadt», hatte Rambert gesagt.
    «Ja, schon, aber wir können nur hoffen, dass die Epidemie nicht andauert.»
    Schließlich hatte er versucht, Rambert auch mit dem Hinweis zu trösten, er könne in Oran Stoff für eine interessante Reportage finden, und es gebe genaugenommen kein Ereignis, das nicht eine gute Seite habe. Rambert zuckte die Achseln. Sie kamen im Stadtzentrum an.
    «Das ist Blödsinn, Herr Doktor, verstehen Sie. Ich bin nicht dazu geboren, Reportagen zu machen. Aber vielleicht bin ich dazu geboren, mit einer Frau zu leben. Ist das nicht normal?»
    Rieux sagte, es höre sich jedenfalls vernünftig an.
    Auf den Boulevards des Zentrums herrschte nicht der übliche Betrieb. Einige Passanten eilten fernen Wohnungen entgegen. Keiner lächelte. Rieux dachte, dies sei die Folge der Ransdoc-Meldung vom selben Tag. Nach Ablauf von vierundzwanzig Stunden begannen unsere Mitbürger wieder zu hoffen. Aber am Tag selbst waren die Zahlen noch frisch in ihrem Gedächtnis.
    «Es ist nämlich so», sagte Rambert unvermittelt, «dass sie und ich uns erst vor kurzem kennengelernt haben und uns gut verstehen.»
    Rieux sagte nichts.
    «Aber ich langweile Sie», fuhr Rambert fort. «Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie mir nicht eine Bescheinigung ausstellen könnten, dass ich diese verflixte Krankheit nicht habe. Ich glaube, das könnte mir nützen.»
    Rieux nickte, er fing einen kleinen Jungen auf, der ihm in die Beine lief, und stellte ihn behutsam wieder auf die Füße. Sie gingen weiter und kamen auf die Place d’Armes. Die Äste der Feigenbäume und Palmen hingen reglos, grau vom Staub, rings um ein staubiges und schmutziges Standbild der Republik. Sie blieben unter dem Denkmal stehen. Rieux trat nacheinander seine mit einer weißlichen Schicht bedeckten Füße am Boden ab. Er sah Rambert an. Mit dem etwas nach hinten geschobenen Filzhut, dem unter der Krawatte offenen Hemdkragen und schlecht rasiert, sah der Journalist stur und missgelaunt aus.
    «Sie können sicher sein, dass ich Sie verstehe», sagte Rieux schließlich. «Aber Ihre Überlegung ist nicht richtig. Ich kann Ihnen diese Bescheinigung nicht ausstellen, weil ich ja nicht weiß, ob Sie diese Krankheit haben oder nicht, und weil ich sogar, wenn Letzteres der Fall ist, nicht bescheinigen kann, dass Sie nicht von dem Moment an, wo Sie mein Büro verlassen, und dem, wo Sie das der Präfektur betreten, infiziert sein werden.

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