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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Und selbst wenn …»
    «Und selbst wenn?», sagte Rambert.
    «Und selbst wenn ich Ihnen diese Bescheinigung gäbe, würde Sie Ihnen nichts nützen.»
    «Warum nicht?»
    «Weil es in dieser Stadt Tausende von Menschen in Ihrer Lage gibt und man sie trotzdem nicht hinauslassen darf.»
    «Wenn sie selbst aber nicht die Pest haben?»
    «Das ist kein ausreichender Grund. Ich weiß ja, dass diese Geschichte blödsinnig ist, aber sie betrifft uns alle. Man muss sie nehmen, wie sie ist.»
    «Ich bin aber nicht von hier!»
    «Von jetzt an werden Sie leider von hier sein, wie alle andern.»
    Der andere regte sich auf:
    «Es ist eine Frage der Menschlichkeit, das müssen Sie mir glauben. Vielleicht können Sie sich nicht vorstellen, was eine Trennung wie diese für zwei Menschen bedeutet, die sich gut verstehen.»
    Rieux antwortete nicht gleich. Dann sagte er, er glaube, er könne es sich vorstellen. Er wünsche mit aller Kraft, dass Rambert seine Frau wiedersehe und dass alle, die sich liebten, wieder vereint würden, aber es gebe Verfügungen und Gesetze, es gebe die Pest, und seine Rolle sei es, das Nötige zu tun.
    «Nein», sagte Rambert bitter, «Sie können es nicht verstehen. Sie sprechen die Sprache der Vernunft, Sie sind in der Abstraktion.»
    Der Arzt blickte zum Standbild der Republik auf und sagte, er wisse nicht, ob er die Sprache der Vernunft spreche, aber er spreche die Sprache der Tatsachen, und das sei nicht unbedingt das Gleiche. Der Journalist rückte seine Krawatte zurecht.
    «Das heißt also, dass ich anders zurechtkommen muss? Aber», fuhr er mit einer Art Trotz fort, «ich werde diese Stadt verlassen.»
    Der Arzt sagte, er verstehe ihn auch darin, aber es gehe ihn nichts an.
    «Doch, es geht Sie etwas an», sagte Rambert plötzlich laut werdend. «Ich bin zu Ihnen gekommen, weil mir gesagt wurde, Sie hätten einen erheblichen Anteil an den getroffenen Entscheidungen gehabt. Deshalb habe ich gedacht, Sie könnten, wenigstens in einem Fall, rückgängig machen, wozu Sie beigetragen haben. Aber das ist Ihnen ja egal. Sie haben an niemanden gedacht. Sie haben keine Rücksicht auf diejenigen genommen, die getrennt sind.»
    Rieux gab zu, dass das in gewisser Hinsicht wahr sei, dass er keine Rücksicht auf sie habe nehmen wollen.
    «Aha, ich verstehe!», sagte Rambert. «Gleich werden Sie vom Dienst am Gemeinwohl sprechen. Aber das öffentliche Wohl besteht aus dem Glück jedes Einzelnen.»
    «Hören Sie», sagte der Arzt, der einem Gedanken nachgehangen zu haben schien, «es gibt außerdem noch etwas anderes. Man darf nicht richten. Aber Sie sollten nicht ärgerlich sein. Ich wäre überglücklich, wenn Sie sich aus dieser Affäre ziehen könnten. Nur gibt es einfach Dinge, die mein Beruf mir verbietet.»
    Der andere schüttelte ungeduldig den Kopf.
    «Ja, ich habe keinen Grund, ärgerlich zu sein. Und ich habe Ihre Zeit lange genug in Anspruch genommen.»
    Rieux bat ihn, er möge ihn über seine Schritte auf dem Laufenden halten und es ihm nicht nachtragen. Es gebe bestimmt eine Ebene, auf der sie zusammenfinden könnten. Rambert wirkte plötzlich unschlüssig.
    «Ich glaube es», sagte er nach kurzem Schweigen, «ja, ich glaube es gegen meinen Willen und trotz allem, was Sie mir gesagt haben.»
    Er zögerte:
    «Aber ich kann Ihnen nicht zustimmen.»
    Er zog seinen Filzhut in die Stirn und ging mit schnellen Schritten davon. Rieux sah ihn das Hotel betreten, in dem Jean Tarrou wohnte.
    Nach einem Moment schüttelte der Arzt den Kopf. Der Journalist hatte mit seiner ungeduldigen Sehnsucht nach Glück recht. Aber hatte er auch recht, wenn er ihn beschuldigte? ‹Sie leben in der Abstraktion.› War das wirklich die Abstraktion, diese Tage in seinem Krankenhaus, in dem die Pest immer mehr verschlang und die durchschnittliche Zahl der Opfer auf fünfhundert pro Woche erhöhte? Ja, es gab in dem Unglück einen Teil Abstraktion und Unwirklichkeit. Aber wenn die Abstraktion anfängt, einen zu töten, muss man sich eben mit ihr befassen. Und Rieux wusste nur, dass es nicht ganz einfach war. Es war zum Beispiel nicht einfach, das Behelfskrankenhaus (es gab jetzt drei) zu leiten, mit dem er betraut war. Er hatte in einem Raum, der in das Untersuchungszimmer führte, eine Aufnahme einrichten lassen. Der Fußboden war aufgegraben und bildete einen See aus Kresollösung mit einer kleinen Insel aus Backsteinen in der Mitte. Der Kranke wurde auf seine Insel hinübergetragen, schnell ausgezogen, und seine Kleider fielen in

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